«Rohstoffreichtum fördert autoritäre Regimes»

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Historiker«Rohstoffreichtum fördert autoritäre Regimes»

Jeronim Perovic erklärt, warum die Kontrolle von Energiequellen auch politische Macht bedeutet. Und warum nicht alle Konflikte Ressourcenkriege sind.

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Für Historiker Jeronim Perovic ist es kein Zufall, dass in ressourcenreichen Staaten oft autoritäre Regimes herrschen. Als Beispiel nennt er Russland: «Putin hat bereits kurz nach seinem Amtsantritt als Präsident den Erdölsektor, der in den 1990er-Jahren privatisiert worden war, wieder unter staatliche Kontrolle gebracht. Damit konnte er die Macht des Staates entscheidend ausbauen.»
Dies ist laut Perovic in Russland möglich, weil der Rohstoffsektor trotz seiner grossen volkswirtschaftlichen Bedeutung relativ wenig Leute beschäftigt und von noch weniger Leuten kontrolliert wird. «Eine kleine Gruppe des Landes verfügt also über Zugang zu enormen finanziellen Mitteln.» (Bild: Bau einer Gas-Pipeline zwischen Russland und Deutschland.)
Damit dieses System aufrechterhalten werden kann, sind grosse Umverteilungen nötig. «Die Gewinne aus dem Ressourcengeschäft werden so umverteilt, dass nicht nur die wichtigen Interessengruppen bei Laune gehalten werden, sondern auch die Steuerlast für die Bevölkerung tief bleibt und der Staat Sozialleistungen zahlt», sagt Perovic. Ein Beispiel dafür ist Saudiarabien.
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Für Historiker Jeronim Perovic ist es kein Zufall, dass in ressourcenreichen Staaten oft autoritäre Regimes herrschen. Als Beispiel nennt er Russland: «Putin hat bereits kurz nach seinem Amtsantritt als Präsident den Erdölsektor, der in den 1990er-Jahren privatisiert worden war, wieder unter staatliche Kontrolle gebracht. Damit konnte er die Macht des Staates entscheidend ausbauen.»

Dmitry Astakhov

Herr Perovic, Sie leiten das Forschungsprojekt «Energie und Macht». Welcher Zusammenhang besteht zwischen der politischen Macht eines Landes und dessen Energieressourcen?

Als strategische Ressource steht Energie immer im engsten Umfeld der Politik, denn alle Staaten sind am Zugang zu ausreichend Energie interessiert, um Entwicklung und Wohlstand zu gewährleisten. In ressourcenreichen Staaten besteht aber oft eine sehr enge Verflechtung zwischen dem Energiesektor und der Politik, denn wer die Ressourcen kontrolliert, der kontrolliert auch die Renditen, die in diesem Sektor erwirtschaftet werden.

Was ist dabei problematisch?

Ressourcenreichtum kann für die Ausbildung eines autoritären Regimes förderlich sein. Das ist kein Zufall, wie auch der russische Fall zeigt, den ich studiere: Putin hat bereits kurz nach seinem Amtsantritt als Präsident den Erdölsektor, der in den 90er-Jahren privatisiert worden war, wieder unter staatliche Kontrolle gebracht. Damit konnte er die Macht des Staates entscheidend ausbauen.

Oft ist in diesem Zusammenhang vom sogenannten Ressourcenfluch die Rede. Was ist im Fall Russlands damit gemeint?

Solange ein Land mit Rohstoffexporten hohe Renditen erzielt, besteht kaum ein Anreiz, unliebsame Wirtschaftsreformen durchzuführen. Kommt hinzu, dass in Russland der Rohstoffsektor trotz seiner grossen volkswirtschaftlichen Bedeutung relativ wenig Leute beschäftigt und von noch weniger Leuten kontrolliert wird. Eine kleine Gruppe des Landes verfügt also über Zugang zu enormen finanziellen Mitteln.

Wie kann dieses System längerfristig aufrechterhalten werden?

Die Gewinne aus dem Ressourcengeschäft werden so umverteilt, dass nicht nur die wichtigen Interessengruppen bei Laune gehalten werden, sondern auch die Steuerlast für die Bevölkerung tief bleibt und der Staat Sozialleistungen zahlt. Das alles kann aber aus dem Lot geraten, wenn der Ölpreis über längere Zeit niedrig bleibt und es immer weniger zum Umverteilen gibt.

Inwiefern stärkt Russlands Ressourcenreichtum auch seine geopolitische Position gegenüber anderen Machtzentren wie etwa den USA?

Russlands enormer Ressourcenreichtum stützt sein Grossmachtbewusstsein – zumal Russland das einzige grosse industrialisierte Land der Welt ist, das sich nicht nur vollständig selbst mit Energie versorgen kann, sondern auch noch grosse Mengen davon exportiert. China, Europa, aber auch die USA müssen alle Energie importieren. Aber der Energiemarkt ist von wechselseitigen Abhängigkeiten geprägt. Um Petrodollars zu erwirtschaften, ist Russland genauso auf Europa, seinen wichtigsten Absatzmarkt für Öl und Gas, angewiesen wie Europa auf russische Rohstoffe.

Was bedeuten diese gegenseitigen Abhängigkeiten?

Die Energiebeziehungen sind für beide Seiten – Russland und Europa – derart wichtig, dass ich nicht davon ausgehe, dass politische Krisen diesen Austausch nachhaltig unterbinden können werden. Trotz Ukrainekonflikt und westlichen Sanktionen planen Deutschland und Russland die Verlegung einer zweiten Gaspipeline durch die Ostsee.

Obwohl viele Konflikte offensichtlich im Kampf um Rohstoffe gründen, sagen Sie, es sei nicht alles mit dem Stichwort Ressourcenkrieg zu erklären. Warum?

Diese Erklärung kann den Blick auf andere Beweggründe verstellen. Nehmen wir einen krassen Fall eines sogenannten Ressourcenkriegs, die US-Invasion im Irak 2003. Öl spielte zwar eine grosse Rolle. Wäre es den Amerikanern aber nur um die Kontrolle des Öls gegangen, hätten sie das günstiger haben können, etwa, indem die USA mit dem Irak eine Allianz eingegangen wären, wie sie das seit Jahrzehnten mit Saudiarabien tun. Es ging Washington eben auch um die Verbreitung von Demokratie. Der Irak hätte zum demokratischen Vorzeigestaat im Nahen Osten werden sollen. Das war natürlich sehr naiv, spielte aber beim amerikanischen Entscheid zur Intervention neben der Kontrolle des Öls auch eine wichtige Rolle.

Zur Person

Jeronim Perovic ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Zürich. Seine Professur wird vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert, für den er das Forschungsprojekt «Energie und Macht» leitet.

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