«Einige Täler müssten geopfert werden»

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Energiewende«Einige Täler müssten geopfert werden»

Anton Gunzinger erklärt, wie sich die Schweiz mit sauberer Energie versorgen könnte. Und warum ein Liter Benzin zwölf Franken kosten müsste.

Pascal Michel
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Pascal Michel
«Die Schweiz könnte auf Kernenergie verzichten und sich nur mit Solar, Wind und Biomasse selbstständig versorgen», ist der Ingenieur Anton Gunzinger überzeugt. «Um das Ziel einer unabhängigen, erneuerbaren Energieversorgung zu erreichen, würde ich auch ein bis zwei leere Bündner Täler opfern.»
In dem von Gunzinger skizzierten System spielen Speicherseen eine zentrale Rolle: «Kombinieren wir Solar, Wind und Biomasse mit der richtigen Nutzung unserer Speicherseen, ist dieses System gar kostengünstiger als eines mit neuer Atomenergie.»
Gunzinger glaubt, dass sein System sogar kostengünstiger sei als eines mit Atomstrom. Dies, weil beim AKW-Strom die Risiken nicht im Preis einberechnet würden.
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«Die Schweiz könnte auf Kernenergie verzichten und sich nur mit Solar, Wind und Biomasse selbstständig versorgen», ist der Ingenieur Anton Gunzinger überzeugt. «Um das Ziel einer unabhängigen, erneuerbaren Energieversorgung zu erreichen, würde ich auch ein bis zwei leere Bündner Täler opfern.»

Keystone/Jean-christophe Bott

ETH-Professor und Unternehmer Anton Gunzinger erscheint in Birkenstock-Finken zum Interview. Ein klassischer Vertreter der Öko-Fraktion ist er jedoch nicht, im Gegenteil: Hier spricht ein Marktliberaler, der jegliche Energie-Subventionen ablehnt und die Kostenwahrheit bei allen Energieträgern fordert.

Herr Gunzinger, von den Schweizer Energiekonzernen hören wir: Strom aus Wasserkraft sei nicht mehr rentabel. Einige wollen gar die Kraftwerke abstossen. Was läuft schief im heutigen Energiesystem?

Die deutsche Anbauschlacht für erneuerbare Energien hat dazu geführt, dass der Markt mit Billigstrom überschwemmt wird und die Preise in den Keller rasseln. Dabei hat Deutschland nur einen Fehler gemacht: Gleichzeitig mit dem enormen Ausbau der Solarenergie hätten die Kohlekraftwerke und AKWs vom Netz genommen werden müssen, damit die Stromproduktion und die Preise insgesamt wieder ins Lot kommen. Dann hätten wir jetzt keine Probleme.

In Ihrem Buch «Kraftwerk Schweiz» skizzieren Sie ein Modell mit hundert Prozent erneuerbarer Energieversorgung. Wie soll das gehen?

Unsere Berechnungen zeigen: Die Schweiz könnte auf Kernenergie verzichten und sich nur mit Solar, Wind und Biomasse selbstständig versorgen. Kombinieren wir diese Quellen mit der richtigen Nutzung unserer Speicherseen, ist dieses System gar kostengünstiger als eines mit neuer Atomenergie. Im Sommer gäbe es durch die Sonnenenergie mehr als genug Strom, die Energie aus den Speicherseen brauchen wir also dann nicht mehr. Diese könnten sich bis im Herbst mit Wasser füllen, das dann im Winter eingesetzt werden kann, um die fehlende Solarenergie zu ersetzen.

In diesem Szenario müssten grosse Flächen der Schweiz mit Solarpanels zugepflastert werden.

Für die Fotovoltaik benötigen wir etwa 100 Quadratkilometer. Zum Vergleich: Die gesamte Dachfläche der Schweiz beträgt etwa 400 Quadratkilometer. Wir haben also genügend Fläche. Ich würde etwa die Hälfte der Fotovoltaik in den Alpen aufbauen, da wir dort rund 50 Prozent mehr Sonne als im Mittelland und einen ähnlichen Ertrag wie in der Sahara haben. Und da will ich ehrlich sein: Um das Ziel einer unabhängigen erneuerbaren Energieversorgung zu erreichen, würde ich auch ein bis zwei leere Bündner Täler opfern.

Sie behaupten, ihr Modell wäre gar noch rentabler als mit AKWs und fossilen Brennstoffen. Wie das?

Der heutige AKW-Strom deckt seine Kosten nicht, insbesondere wird die Endlagerung viel teurer als ursprünglich geplant und für das Unfallrisiko müsste Geld zurückgelegt werden. Ebenso müssten sich bei Öl und Gas CO2-Emissionen und Luftverschmutzung im Preis widerspiegeln. Ein Benzinpreis, der die wahren Unterhaltskosten für die Strassen und die Lärmkosten berücksichtigt, dürfte bei etwa 12 Franken pro Liter liegen. Wenn wir die Kostenwahrheit bei allen Energieträgern haben, bin ich davon überzeugt, dass erneuerbare Energien immer die günstigste Wahl sind.

Als liberaler Unternehmer lehnen Sie die Subventionierung erneuerbarer Energien ab. Solange die Preise aber Ihrer Meinung nach nicht die wahren Kosten der traditionellen Energieträger widerspiegeln, wären Anreize weiter nötig.

Das ist leider so: Es wird weiterhin nicht ohne Subventionen gehen. Durch die Einführung der Kostenwahrheit, wie ich sie mir wünsche, könnten diese Subventionen aber kontinuierlich abgebaut werden, während wir jedes Jahr den Benzinpreis um beispielsweise 50 Rappen heraufsetzen und den Preis für Kohle- und Atomstrom aus dem Ausland um einige Rappen verteuern.

Sie sagen, die Schweiz besitze eine einzigartige «Poleposition», da wir die schwankende Produktion aus Solarenergie mit unseren Speicherseen auffangen können. Dies mache es uns möglich, Selbstversorger zu werden. Macht es Sinn, dass sich die Schweiz als ein in Europa eingebundenes Land selber mit Strom versorgt?

Hier verfolge ich klar eine patriotische Linie: Länder, die ihren Energiebedarf selber decken, sind unabhängig. Sie können als Selbstversorger den Handelspreis bestimmen und sind nicht mehr von den Interessen ausländischer Produzenten fremdbestimmt.

Diese Idee dürfte den führenden Ölproduzenten nicht gefallen.

Das ist so. Jetzt bestimmen Länder wie Saudi-Arabien über den Ölpreis und setzen munter irgendwelche Fantasiepreise fest, um ihre Interessen durchzusetzen. Natürlich werden solche Länder die Energiewende bis zum bitteren Ende bekämpfen, weil sie unsere Unabhängigkeit fürchten. Aber auch das wird die Erneuerbaren nicht aufhalten können.

Was macht Sie da so sicher?

Die stetig sinkenden Kosten für die Produktion erneuerbarer Energie stützen diese These. Bei Solaranlagen beispielsweise entstehen im Vergleich zu einem AKW fast keine Wartungskosten, und nach einer Anfangsinvestition werden die Kosten innert kürzester Zeit wieder eingespielt. Diese hohe Rentabilität bei sinkenden Preisen wird zu einem grossen Wachstum führen. Das zeigt sich bereits: Letztes Jahr kamen weltweit Anlagen, die erneuerbare Energien produzieren, in der Grösse von 26 grossen AKWs dazu.

Sie beschreiben sich selbst als «technologiegläubig». Auch damals bei der AKW-Euphorie in den 1960-Jahren glaubten viele, dass jetzt das Zeitalter des billigen Stroms angebrochen sei. Auch bei den Erneuerbaren ist ein böses Erwachen nicht ausgeschlossen.

Ein unvorhergesehener Systemfehler kann nicht ausgeschlossen werden, das muss ich zugeben. Die Realität ist immer komplexer als ein Modell, und vielleicht tauchen tatsächlich Probleme auf, die man nicht berücksichtigt hat. Problematisch könnten etwa das Recycling von Batterien oder die Entsorgung der Solarpanels sein. Aber wir haben das auch bei der Autobatterie und beim Elektronikschrott geschafft, deshalb bin ich zuversichtlich.

Zur Person Anton Gunzinger ist promovierter Elektroingenieur mit Lehrauftrag an der ETH Zürich.

Zur Person Anton Gunzinger ist promovierter Elektroingenieur mit Lehrauftrag an der ETH Zürich.

In Zeiten, wo Computer noch koffergross und mehrere hunderttausend Franken kosteten – 1992 –, baute Gunzinger den schnellsten Supercomputer der Schweiz und belegte an der Weltmeisterschaft in den USA den zweiten Platz hinter Intel. Das «Time Magazine» hat Gunzinger darauf als einen der 100 kommenden Leader ausgewählt. 1993 gründete er die Firma Supercomputing Systems mit Sitz in Zürich, die mittlerweile 100 Personen beschäftigt.

In seinem Buch «Kraftwerk Schweiz» (2015, Zytglogge Verlag) berechnet Anton Gunzinger Modell-Szenarien für ein zukünftiges Energiesystem und stellt sie einander gegenüber.

App zur Energy Challenge 2016

Die Energy Challenge 2016 ist eine nationale Aktion von Energie Schweiz und dem Bundesamt für Energie rund um die Themen Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Als Medienpartner beleuchtet auch 20 Minuten den Themenschwerpunkt mit Grafiken, Reportagen und Interviews. Weitere Informationen gibt es in der offiziellen App, die hier für Android und hier für iOS heruntergeladen werden kann.

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