Terror-Prävention«25 Mann, um einen Radikalen zu überwachen»
Auch in der Schweiz sind nach dem Pariser Attentat viele Bürger verunsichert. Wie können wir uns vor möglichen Anschlägen schützen? Terrorexperten nehmen Stellung.
Eine Umfrage unter Passanten zeigt: Nach dem Terroranschlag von Paris erhofft man sich in der Schweiz einen wachsamen Geheimdienst. (Video: Roland Schäfli/Lorenz von Meiss)
Nach dem Attentat in Paris scheint die Gefahr, die von islamistischen Organisationen ausgeht, auch in der Schweiz so greifbar wie nie – viele Bürger sind beunruhigt (siehe Video). Für manche Experten ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch unser Land Ziel eines Anschlags wird. Wie kann die Schweiz ihre Bürger schützen? Experten sehen in verschiedenen Bereichen Handlungsbedarf:
Mehr Kontrollmöglichkeiten
Eines der grössten Probleme der Schweizer Behörden ist laut Terrorexperte Lorenzo Vidino, dass ihr Spielraum im Bereich Überwachung begrenzt ist. «Die rechtlichen Befugnisse sind in diesem Bereich viel kleiner als in anderen westeuropäischen Ländern.» Vidino bedauert es, dass die Beratungen über das Nachrichtengesetz noch nicht weiter fortgeschritten sind. Dieses würde es dem Geheimdienst ermöglichen, die Telefone Terrorverdächtiger abzuhören, ihre E-Mails zu lesen und Räume zu verwanzen.
Auch der Sicherheitsexperte Albert A. Stahel findet, das Gesetz sei längst überfällig. «Wir müssen zudem die bestehenden Möglichkeiten ausnützen und etwa mehr Videokameras im öffentlichen Raum installieren.» Widerstand ist jedoch programmiert: Kritiker befürchten einen «Schnüffelstaat» und eine Verletzung der Privatsphäre.
Mehr Personal
Für Stahel ist klar: «Unsere Polizeikorps sind viel zu klein.» Um die Gefahr der radikalen Islamisten in den Griff zu bekommen, brauche es viel mehr Einsatzkräfte. Diese müssten im öffentlichen Raum Präsenz markieren. Auch Lorenzo Vidino sagt, die personellen Ressourcen seien in der Schweiz sehr bescheiden. Handlungsbedarf sieht er aber nicht in erster Linie an der Front, sondern eher im Hintergrund: «Es wäre keine schlechte Idee, zusätzliche Beamte im Nachrichtendienst und im Bundesamt für Polizei anzustellen.»
Vidino erinnert aber auch daran, dass der Staat nie genug Personal anstellen kann, um alle Menschen mit radikalen Gedanken zu überwachen. «Es braucht etwa 25 Beamte, um eine Person rund um die Uhr online und offline zu überwachen.» Bei Dutzenden Schweizern, die schon in den Dschihad gezogen sind – und vielen mehr, die mit dem Gedanken spielen dürften –, sei die totale Kontrolle unmöglich.
Umgang mit Dschihad-Rückkehrern
Personen, die aus dem Dschihad zurückkehren, stellen für die Schweiz eine potenzielle Gefahr dar. Laut Vidino ist es nicht in allen Fällen möglich, sie strafrechtlich zu belangen, da allein die Reise nach Syrien oder in den Irak noch kein Straftatbestand sei. Wichtig seien auch Reintegrationsmassnahmen. Der Experte warnte schon im April in einem Interview mit 20 Minuten: «Bei solchen Programmen hinkt die Schweiz anderen Ländern noch etwas hinterher.» Zu den nötigen Massnahmen gehörten unter anderem psychologische Hilfe und Gespräche mit reintegrierten Rückkehrern.
Keine Überreaktion
Das Wichtigste, so Vidino, sei, den Durchblick nicht zu verlieren – «egal wie dramatisch die Ereignisse sind». Bei aller Wachsamkeit dürfe die gesunde Balance zwischen Sicherheitsmassnahmen und Bürgerrechten nicht verloren gehen. Er betont, die Schweizer Behörden machten trotz begrenzter Ressourcen und fehlender Kontrollbefugnisse «hervorragende Arbeit». Auch Stefan Kunfermann, Sprecher des Bundesamtes für Polizei, bestätigt: «Den Sicherheitsbehörden der Schweiz liegen zurzeit keine Hinweise auf konkrete Bedrohungen gegen die Schweiz oder Schweizer Interessen oder ausländische Interessen in der Schweiz vor.» Die Sicherheitsorgane seien jedoch «verstärkt wachsam» hinsichtlich neuer Anzeichen.