«Wir wollten keine Menschen überfahren»

Aktualisiert

Ausschreitungen in Bern«Wir wollten keine Menschen überfahren»

22 Verletzte und erhebliche Sachschäden – das ist das Fazit der Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken in Bern. Ein beteiligter Kurde erzählt.

von
vro
Bei einer Demonstration am 12. September 2015 in Bern gerieten Kurden und türkische Nationalisten aneinander. Die Polizei musste eingreifen.
Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort.
Auf einer Brücke liegt viel Gummischrot.
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Bei einer Demonstration am 12. September 2015 in Bern gerieten Kurden und türkische Nationalisten aneinander. Die Polizei musste eingreifen.

Leser-Reporter

Zwischen Demonstranten der «Union für türkische Demokraten in Europa» (UETD) und Kurden kam es am Samstag zu Krawallen. Die Demo der Türken war bewilligt, die Gegendemo nicht. «Wir mussten Widerstand zeigen und klarmachen, dass wir uns nicht unterdrücken lassen», erklärt ein Mitglied von «Kurdische Jugend Schweiz», das ebenfalls vor Ort war. Auf der Facebookseite der Gruppe wurde zur Teilnahme aufgerufen. «Wir müssen für unsere Freiheit kämpfen, auch hier in der Schweiz», erklärt der Kurde diesen Schritt.

Nach eigenen Angaben wollten die UETD-Mitglieder gegen den «Terrorismus» und den aktuellen Kurdenkonflikt in der Türkei protestieren. «Sie wollten uns schlecht darstellen», erklärt hingegen der Kurde. Das habe man verhindern wollen und sei deshalb vor ihnen auf dem Berner Helvetiaplatz aufgetaucht. «Es war eine Spontandemo. Hätten wir früher davon erfahren, wären viel mehr als die 200 Kurden gekommen.»

«Jeder hatte Angst»

Doch die angespannte Stimmung kippte in gewalttätige Krawalle um. Insgesamt 22 Personen wurden verletzt, darunter auch fünf Polizisten. Offenbar war zumindest von Seiten der Kurden damit zu rechnen: «Wir sind zu 100 Prozent davon ausgegangen, dass es zu Gewalttaten kommen wird», so das Mitglied der Kurdengruppe. Eine Eskalation sei nicht das Ziel gewesen. «Jeder von uns hatte Angst, ich selbst auch. Zwei meiner Kollegen liegen jetzt im Spital.»

Obwohl mit Gewalt zu rechnen war, habe keiner der Kurden Waffen von zu Hause mitgebracht, beteuert der Mann. «Ich selbst war vor Ort, um meine Geschwister zu schützen. Es gab auch Schweizer und Albaner unter den Teilnehmern der Gegendemo. Sie waren aus Solidarität den Kurden gegenüber dabei.»

Morddrohungen gegen Autobesitzer

Dass es sich bei den Krawallen in Bern um eine Ausnahme handelt, glaubt der Mann nicht. «Es wird immer grösser werden.» Irgendwann würden die Beteiligten zu den Waffen greifen. «Die Lage ist so angespannt, dass man als Kurde momentan nicht mehr alleine auf die Strasse kann.» Er betont aber auch: «Natürlich gibt es auf beiden Seiten Leute, die sich schlecht benehmen.»

Die Kurden in der Schweiz scheinen mittlerweile in einer verzweifelten Lage. Die Emotionen kochen schnell hoch. Das ist auch bei einem Blick auf Social-Media-Plattformen ersichtlich. Besonders der Besitzer des Fahrzeugs, das nach Angaben der Polizei aus noch unklaren Gründen in eine Menschenmenge gerast ist, ist unter Beschuss. Unzählige Kurden äussern Morddrohungen gegen den Mann. Seine Personalien und sein Bild werden überall verbreitet. «Ich bring ihn um, wenn ich ihn sehe», heisst es etwa. Oder: «Zündet sein Haus an!»

Der Autobesitzer hat sich mittlerweile an die Medien gewandt. Das Auto sei auf seinen Namen eingelöst. Aber: «Ich war weder der Fahrer des Fahrzeuges, noch bin ich sonstwie in diese Ereignisse involviert und ich drücke allen Betroffenen mein Mitgefühl aus», schreibt er in einer Stellungnahme. Die Polizei sei informiert und ermittle.

«Wir wollten keine Menschen überfahren»

Die Kantonspolizei Bern bestätigt, dass es sich beim Lenker nicht um den Besitzer des Wagens handelt. Die Person, die hinter dem Steuer gesessen hatte, konnte mittlerweile befragt werden. Nähere Angaben können noch nicht gemacht werden.

Eine Frau, die mit im Fahrzeug gesessen hat, berichtet dem «Blick», dass sie Todesangst gehabt hätten. Es seien mehrere kurdische Demonstranten mit Eisenstangen auf den Fahrer und den Beifahrer losgegangen. Sie seien daraufhin geflüchtet. «Wir wollten keine Menschen überfahren», sagt die Türkin.

Untersuchungen laufen

Eine Lösung zwischen den Lagern liegt laut dem Mitglied von «Kurdische Jugend Schweiz» in weiter Ferne. «Geht es in der Türkei so weiter, wird es auch in der Schweiz kein Ende nehmen.» Eines ist für den Kurden jedenfalls sicher: «Zwischen den Türken und den Kurden wird es nie richtigen Frieden geben.»

Währenddessen hat die Kantonspolizei Bern umfassende Ermittlungen eingeleitet. Eine Person wurde wegen Hinderung einer Amtshandlung verzeigt. Weitere Massnahmen dürften sich im Laufe der Untersuchung ergeben.

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