EU-Verhandlungen«Auf der Schnellstrasse in Richtung EU-Recht»
Bundesrat Ignazio Cassis präzisiert das Verhandlungsmandat mit der EU. Für SVP-Nationalrat Roland Büchel ist es ein «Schritt in die falsche Richtung».
Bundesrat Ignazio Cassis stellt sich den Fragen zu den EU-Verhandlungen.
Schon seit 2014 verhandeln die Schweiz und die EU über ein institutionelles Rahmenabkommen. Ohne dieses sei der bisherige Zugang der Schweizer Wirtschaft zum EU-Binnenmarkt in Gefahr, machten EU-Vertreter immer wieder deutlich. Aussenminister Ignazio Cassis macht jetzt klar, wie die Regierung in den Verhandlungen mit der EU vorgehen will. Kernpunkt des Rahmenabkommens soll die Einrichtung eines Schiedsgerichts sein, das bei Streitigkeiten zwischen der EU und der Schweiz vermitteln kann.
«Die EU will eigenes Recht selber auslegen, und auch wir wollen keine fremden Richter», sagt Cassis. Jetzt gehe es darum, einen Kompromiss zu finden, mit dem beide Parteien leben können. «Es ist aber nicht das Ziel, automatisch EU-Recht zu übernehmen, sondern nur dynamisch», führt Cassis weiter aus. Vor einer allfälligen Übernahme von EU-Recht werde die Schweiz also die Möglichkeit haben, dieses anzupassen oder abzulehnen. Für den SVP-Nationalrat Roland Büchel ist das Augenwischerei. «Mit einem solchen Rahmenabkommen sind wir auf der Schnellstrasse in Richtung EU-Recht.»
«Vorstellung der Regierung ist naiv»
Er sei von Cassis' Vorgehen absolut enttäuscht. «Das ist Burkhalter mit einem italienischen Akzent – keine Spur vom angekündigten Reset-Knopf.» Dass der Bund annehme, dass Schiedsgerichte schliesslich über Streitigkeiten zwischen der EU und der Schweiz entscheiden würden, sei naiv. «Die Hoffnung, dass Schiedsgerichte die Autorität haben, endgültig über Streitigkeiten zu entscheiden, ist nur eines: Hoffnung», sagt Büchel.
Ausserdem führe die Entscheidung, dass EU-Recht dynamisch übernommen werde, dazu, dass in Zukunft EU-Recht automatisch eingeschweizert werde. Man sehe bei Schengen-Dublin, wie das funktioniere. «Die EU pocht auf das Recht des Stärkeren und wird das auch in Zukunft einfordern.» Bei einem Nein zu EU-Verträgen würde die EU mit Sanktionen drohen, und die Schweiz wäre gezwungen, das Gesetz trotzdem anzunehmen. «Da können wir die direkte Demokratie gleich auf den Scheiterhaufen werfen.»

«Geht um den Zugang zum EU-Binnenmarkt»
Für den SP-Nationalrat Eric Nussbaumer hingegen könnten die Pläne der Regierung weiter gehen. «Mit dem Rahmenabkommen wird eine Mini-Lösung erzielt, bei der die Schweiz auch weiterhin kein Mitspracherecht auf EU-Ebene haben wird.» Immerhin soll durch eine dynamische Übernahme von EU-Recht die Rechtssicherheit für Schweizer Unternehmen sichergestellt werden. Schliesslich gehe es um den Zugang zum EU-Binnenmarkt, der für die Schweizer Wirtschaft und die Schweizer Arbeitsplätze enorm wichtig sei.

«Es ist liegt in unserem Interesse, für Abkommen relevante EU-Gesetze zu übernehmen», sagt Nussbaumer. Fast 70 Prozent des Schweizer Exportvolumens gehen in die EU, darum sei für die Schweiz der Zugang zum EU-Binnenmarkt so wichtig. Wenn die Schweiz das EU-Recht also nicht übernehme, würde das den Wirtschaftsstandort Schweiz nur schwächer, teurer und komplizierter machen. «Wir wollen in der Schweiz Büez haben, und der einfachste Weg dazu ist eine verlässliche Regelung mit unserem grössten Exportmarkt.»

Herr Oesch, wie könnte das von Bundesrat Cassis propagierte Schiedsgericht konkret aussehen?
Die Idee ist immer noch, dass Streitigkeiten zwischen der EU und der Schweiz bilateral gelöst werden. Wenn das in einem Streitfall nicht möglich ist, soll ein Schiedsgericht darüber entscheiden. Noch ist aber unklar, inwiefern dies überhaupt möglich ist.
Wie meinen Sie das?
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) akzeptiert grundsätzlich kein anderes Gericht, das EU-Recht auch für die EU autoritativ auslegt. Dass die EU für die Schweiz eine Ausnahme macht, kann ich mir nur schwer vorstellen. Es ist klar, dass ein Schiedsgericht einen gewissen Charme hat, aber schlussendlich wird wahrscheinlich trotzdem der EuGH das letzte Wort haben, wenn es um die Auslegung von EU-Recht geht, das in ein bilaterales Abkommen übernommen wurde. Bundesrat Cassis und Staatssekretär Balzaretti sind dieser Frage in der Pressekonferenz ausgewichen. Wie Bundesrat Cassis gesagt hat: Der Teufel steckt im Detail.
Wie muss man sich die dynamische Rechtsübernahme von EU-Recht vorstellen?
Wie muss man sich die dynamische Rechtsübernahme von EU-Recht vorstellen?
Das bedeutet, dass die Schweiz souverän darüber entscheidet, neue EU-Rechtsakte in ein bilaterales Abkommen zu übernehmen. Die Frage ist, was passiert, wenn wir eine Übernahme ablehnen. Die von Bundesrat Cassis erwähnten «Ausgleichsmassnahmen» könnten nämlich schmerzhaft sein. Faktisch wird es wohl darauf hinauslaufen, dass wir abkommensrelevantes EU-Recht im Regelfall unkompliziert und zeitnah übernehmen. Da der Zugang zum EU-Binnenmarkt für die Schweiz zentral ist, macht ein solches Vorgehen auch Sinn.
Matthias Oesch ist Professor für öffentliches Recht, Europarecht und Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Zürich.