Lockereres GesetzWerden nun Raser und Blaufahrer geschont?
Der Nationalrat könnte dem Sicherheits-Paket Via Sicura die Zähne ziehen. Die Auto-Lobby freuts, Kritiker warnen vor mehr Raser-Opfern.
Mit dem Sicherheitsprogramm Via Sicura geht die Schweiz hart gegen Raser vor. Wer massiv zu schnell unterwegs ist, etwa innerorts mit 100 km/h oder mehr, muss mindestens ein Jahr hinter Gitter. Diese Raser-Strafnorm ist eine von 17 Sicherheitsmassnahmen, die seit 2013 eingeführt wurden. Der Bund will so die Zahl der Verkehrstoten bis 2030 auf unter 100 senken, Schwerverletzte soll es maximal noch 2500 geben. 2016 starben 216 Menschen auf Schweizer Strassen, 3785 wurden schwer verletzt.
Stände- und Bundesrat wollen diesen Raser-Paragraphen und andere Regeln nun aber wieder aufweichen. Es soll künftig im Ermessen des Richters liegen, ob ein Raser hinter Gitter muss. Damit will man unverhältnismässige Strafen verhindern, etwa wenn keine Absicht hinter der überhöhten Geschwindigkeit stand. «Die Richter könnten beurteilen, ob die betroffene Person im konkreten Fall vorsätzlich gehandelt hat – und damit das hohe Risiko eines Unfalls mit Toten und Schwerverletzten einging – oder ob der Rasertatbestand nicht erfüllt ist, weil nur Fahrlässigkeit vorlag», schreibt der Bundesrat in seiner Begründung.
Streitpunkt Alkohol-Wegfahrsperren
Am Dienstag entscheidet der Nationalrat über das Geschäft. Besonders ein Punkt ist dabei umstritten: Die sogenannten Alco-Locks. Wer wiederholt betrunken am Steuer erwischt wird, soll fünf Jahre lang nur noch in Autos mit Alkohol-Wegfahrsperre und Blackbox fahren dürfen. Bei der Wegfahrsperre muss der Fahrer mittels Test nachweisen, dass er nüchtern ist, bevor er losfahren kann. Die Blackbox zeichnet Geschwindigkeitsübertretungen auf.
Diese Massnahme, welche 2019 in Kraft getreten wäre, soll aber laut Motion wieder gestrichen werden. Der Bundesrat begründet, die Massnahme würde sich gemessen am Aufwand nicht lohnen.
Bei der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) stösst die Landesregierung damit auf Unverständnis. «Der Verzicht wäre ein fatales Zeichen für die Verkehrssicherheit in unserem Land. Unsere Berechnungen zeigen: Mit der Massnahme lassen sich jedes Jahr bis zu 5 Tote und 60 Schwerverletzte vermeiden», sagt BfU-Direktorin Brigitte Buhmann. Die Kosten für die Geräte seien seit der Evaluation des Bundesrates massiv gesunken. «Die Technologie hat wie überall Fortschritte gemacht.» In Ländern wie Schweden, Finnland, Österreich und Polen seien die Erfahrungen mit Alkohol-Wegfahrsperren sehr positiv.
«Wegfahrsperren verhindern keine Verkehrs-Toten»
Auch das Blaue Kreuz warnt: «Eine Lockerung wäre unverständlich und unverantwortlich. Die Alkoholwegfahrsperre ist kein Luxus, sondern ein bewährtes und vernünftiges Instrument, um Verkehrstote und Unfallopfer auf unseren Strassen zu reduzieren», sagt Präsident und SP-Nationalrat Philipp Hadorn. Dies sei in der Fachwelt unbestritten. «Wird die Motion vom Nationalrat angenommen, sind die Befürworter und die Auto-Lobbyisten mitverantwortlich, dass mehr Menschen auf unseren Strassen sterben.»
Anders sieht dies Ulrich Giezendanner (SVP): «Ich unterstütze die Lockerungen, denn durch die Via Sicura werden Autofahrer immer mehr wie Schwerverbrecher behandelt.» Der Studie der BfU schenkt Giezendanner keinen Glauben. «Die Wegfahrsperren verhindern keine Verkehrs-Toten. Das BfU macht eine theoretische Berechnung, in der Realität ist es jedoch so, dass diese Systeme einfach ausgetrickst werden können. Beim Alco-Lock kann etwa einfach der Kollege ins Röhrli blasen.» Buhmann vom BfU entgegnet: «Alkohol-Wegfahrsperren sind viel wirksamer als die heute oft angewendete Abstinenzauflage. Sie können weniger einfach umgangen werden, dadurch wirken sie viel zuverlässiger.»
Giezendanner findet, auch eine Lockerung des Raser-Paragraphen sei angemessen. «Es sollen die Richter im Einzelfall entscheiden können, da darf die Politik nicht ein enges Korsett vorschreiben.» Auch Parteikollege Jean-Luc Addor und CVP-Mann Fabio Regazzi engagieren sich gegen Via Sicura, nachdem sie für ihre Initiative «Stopp den Auswüchsen von Via Sicura» nicht genügend Unterschriften sammeln konnten. «30'000 Unterschriften sind nicht nichts. Die Menschen, die dahinter stehen, hoffen auf ein Ja vom Nationalrat», schreibt das Komitee. Es will die Initiative nun in Form einer Petition dem Bundesrat unterbreiten.