Romands nach Schelte«Blocher ist Nationalist – wir sind Patrioten»
SVP-Vordenker Christoph Blocher zieht den Patriotismus der Welschen in Zweifel – und sorgt damit im Westen für Unmut. Selbst aus seiner eigenen Partei kommt Widerspruch.
Die SVP feierte am Sonntag mit dem Ja zu ihrer Einwanderungsinitiative einen grossen Triumph – doch keinen flächendeckenden: Sämtliche Westschweizer Kantone lehnten das Volksbegehren ab. Das animierte Christoph Blocher in einem Interview mit der «Basler Zeitung» zu einer Breitseite in Richtung Westen. Auf die Frage, wieso die Romands anders gestimmt hätten, sagte der SVP-Patron: «Die Welschen hatten immer ein schwächeres Bewusstsein für die Schweiz.»
Mangelnden Patriotismus mag sich der Waadtländer FDP-Nationalrat Olivier Feller vom Zürcher Blocher jedoch nicht unterstellen lassen: «Nach dieser Logik hat auch sein eigener Kanton ein schwaches Bewusstsein für die Schweiz.» Zürich lehnte die Initiative mit 52,7 Prozent ab.
«Patriotismus, nicht Nationalismus»
Feller sagt zwar, dass die Waadt einen starken Lokalpatriotismus kenne. «Aber wir singen auch voller Inbrunst die Nationalhymne, freuen uns, wenn Roger Federer gewinnt, und feiern nach Siegen der Fussball-Nati auf der Strasse.» Zudem trügen die Kantone Waadt und Genf mit ihrer Wirtschaftskraft stark zum nationalen Finanzausgleich bei: «Das ist eine moderne Form des Patriotismus.»
Der Genfer Nationalrat Ueli Leuenberger sagt, dass viele Romands mit einem Patriotismus à la Blocher nichts am Hut hätten. «Patriotismus bedeutet, sein Land zu lieben. Das tun wir», betont der Grüne. Blocher hingegen sei ein Nationalist – und «das bedeutet, andere auszugrenzen». Anders als «Aufwiegler» Blocher hätten die Romands ein humanitäres Gewissen, erklärt Leuenberger das Abstimmungsresultat.
Graben zwischen Stadt und Land
Blocher selbst hält im BaZ-Interview gönnerhaft fest, dass die Unterstützung für die Initiative aus dem Welschland immerhin grösser gewesen sei als beim EWR. Olivier Feller will denn auch nichts von einer Rückkehr des Röstigrabens wissen, der sich 1992 tief durch das Land zog.
«Heute haben wir es vielmehr mit einem Stadt-Land-Graben zu tun», sagt der Freisinnige. Genau wie die Basler oder Zürcher hätten die Romands eben erkannt, was ihnen die Personenfreizügigkeit gebracht habe: «In den Spitälern pflegen uns Ausländer, in den Beizen bedienen uns Ausländer, unsere Strassen planen ausländische Ingenieure.»
«Die Vielfalt macht die Schweiz aus»
Der Deutschschweizer Politologe Georg Lutz, der in Lausanne lehrt, sieht noch weitere Gründe für das Nein der Romandie zur SVP-Initiative. So habe gerade Genf eine jahrhundertlange Tradition der Offenheit. Und dass die Romandie insgesamt weniger migrationsfeindlich stimme, habe auch mit den eigenen Erfahrungen zu tun: «Wer eine Minderheit im eigenen Land ist, zeigt mehr Sensibilität gegenüber Ausländern.»
Für Lutz zeigt sich bei Blochers Romandieschelte die gleiche ausgrenzende Mentalität, die auch hinter dem Wahlslogan von 2011, «Schweizer wählen SVP», stecke. «Man kann das auch ganz anders sehen: Eigentlich ist es ja die Vielfalt, die die Schweiz ausmacht.»
SVP-Rime widerspricht Blocher
Selbst Jean-François Rime, mehrfacher SVP-Bundesratskandidat, widerspricht Blocher: «Die Romands sind so gute Schweizer wie die Deutschschweizer, auch wenn wir das manchmal anders zum Ausdruck bringen.» Für Blocher sei die Welt eben schwarz-weiss. «Als Freiburger kann ich das gut verstehen», sagt Rime mit Verweis auf seine Kantonsfarben schmunzelnd. «Aber im Ernst: Wir Romands sind vielleicht ein bisschen differenzierter.»