«Das NDB-Gesetz ist eine Gefahr für die Schweiz»

Aktualisiert

Chaos Computer Club Zürich«Das NDB-Gesetz ist eine Gefahr für die Schweiz»

Der Chaos Computer Club Zürich lud am Sonntag zum Tag der offenen Tür. Sprecher Hernani Marques erklärt, was den Aktivisten derzeit unter den Nägeln brennt.

G. Brönnimann
von
G. Brönnimann
Gute Miene zum schlechten Witz: CCCZH-Sprecher Hernani Marques mit den Mini-Handschellen, die ihm Ermittler des Bundes vergangene Woche nach einem Auftritt überreicht haben.

Gute Miene zum schlechten Witz: CCCZH-Sprecher Hernani Marques mit den Mini-Handschellen, die ihm Ermittler des Bundes vergangene Woche nach einem Auftritt überreicht haben.

Herr Marques, der Chaos Computer Club Zürich ist eine Hacker-Organisation – muss man sich vor Ihnen fürchten?

Im Gegenteil. Zum einen geht es um Spass am Gerät. Zum anderen kann ich dafür vielleicht aus unseren Statuten zitieren: «Der Verein setzt sich in politischer und technischer Hinsicht mit den Chancen und Gefahren datenverarbeitender Technologien auseinander. Er setzt sich für das Menschenrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein und propagiert den schöpferischen und verantwortungsbewussten Umgang mit Technologie.»

Das klingt etwas vage.

Es geht uns sehr darum, den Leuten bewusst zu machen, dass Technik viel Spass macht, jedoch nicht immer einfach toll, gut und neutral ist. Sondern, dass es sehr drauf an kommt, wie man sie einsetzt, und zu welchem Zweck. Viele sind sich gar nicht bewusst, welche Vorgänge derzeit eigentlich am Laufen sind. Wir schauen genau hin. Sowohl auf technischer, wie auch auf politischer Ebene.

Welche Themen bereiten Ihnen derzeit die grössten Sorgen?

Ganz klar die Revision des Überwachungsgesetzes BÜPF** und das neue Geheimdienstgesetz NDG. Da besteht dringend Handlungs- und Aufklärungsbedarf. Das NDG ist eine Farce – und eine Gefahr für die freiheitliche Ordnung der Schweiz. Zustände wie mit der NSA werden hier angestrebt.

Das sind harte Anschuldigungen. Können Sie das am Beispiel des NDG-Gesetzes begründen?

Da könnte ich nun einen langen Vortrag halten. Um es kurz zu machen: Das NDG verstösst gegen die Verfassung (etwa den Schutz der Privatsphäre) – es besteht keine Verfassungsgrundlage für präventive Überwachung. Kommt es durch, hat der Geheimdienst praktisch unlimitierte Überwachungskompetenzen in Telefon- und Internet – ohne jegliche Transparenz, ohne Kontrollinstanz, die irgendjemandem öffentlich Rechenschaft schuldig wäre.

Aber der Staat sollte im Netz ja schon auch gegen Schwerstkriminelle vorgehen können. Etwa gegen die Mafia, oder gegen Terroristen.

Wenn eine Überwachung zielgerichtet und auf einen konkreten Fall bezogen ist: Ja, klar. Aber das ist ja genau das, was mit den geplanten Mitteln – IMSI-Catcher***, Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner etc. – genau nicht erreichbar ist. Da werden viele Unschuldige mitbetroffen, insbesondere, wenn damit Rasterfahndung gemacht wird, und wir haben ja gesehen, dass das geschieht.

Sind diese Überwachungsmittel beim VBS am richtigen Ort?

Diese Überwachungsmittel sind derart zweifelhaft, dass ein Rechtsstaat auf sie verzichten sollte. Entsprechend sind sie nur dort am «richtigen» Ort, wo solche Systeme sonst hauptsächlich hinverkauft werden: in Diktaturen. In der EU hat gerade der Europäische Gerichtshof die Vorratsdatenspeicherung gestoppt, und hier soll sie in der Schweiz statt abgeschafft nun ausgeweitet werden? Die Entwicklung geht hier in eine völlig falsche Richtung.

Sie sind sicher recht beliebt in Überwacherkreisen.

(lacht) Ich denke, sie werden uns kaum leiden können. Dagegen erfahren wir viel Zuspruch von Anhängern von Freiheit und Demokratie. Aber klar, als Bürgerrechtler ist man nun einmal nicht bei Leuten beliebt, die die Grundrechte am liebsten abschaffen wollen.

Ein Beispiel?

Letzte Woche war ich an einer Podiumsdiskussion der KOBIK****-Konferenz. Ein Konglomerat aus Schweizer Überwachern war da, aber auch einige Staatsanwälte und die Swisscom. die Veranstaltungen am Morgen durften wir nicht besuchen – die waren geheim. Aber am Nachmittag durfte ich kurz Klartext sprechen. Ich sagte aufgrund konkreter Beispiele aus der Praxis, warum das so, wie das geplant ist, nicht geht. Warum Staatstrojaner eine für den Steuerzahler sündhaft teure Katastrophe sind, und warum sie wieder auffliegen werden und den Bund erneut in kriminelle Zusammenhänge verwickeln werden. Ich fürchte, dass man unsere Argumente nicht angenehm fand.

Woran merkten sie das?

Nun, einerseits an den Voten. Andererseits daran, dass eine paranoide Atmosphäre herrschte: Stets begleitet von zwei Typen mit Knopf im Ohr, egal, mit wem ich sprechen wollte. Absolut lächerlich. Und am Ende schenkten mir die Veranstalter auf der Bühne diese Box mit Mini-Handschellen und dem Hinweis, die Schlüssel seien ja noch dabei. Das ist eine sonderbare Symbolsprache, um es vorsichtig auszudrücken.

Und unvorsichtiger ausgedrückt?

Es ist irgendwie bedenklich: Da wird man eingeladen, möchte auf die Grundrechte der Bürger dieses Landes aufmerksam machen, und zum Dank erhält man Handschellen und schlechte Witze.

In Deutschland scheint man den CCC ernster zu nehmen: Dort werden die Aktivisten regelmässig als Berater und Gutachter vorgeladen, sogar vom Bundesverfassungsgericht. Haben Sie Ähnliches vor?

Wir sind in der Schweiz noch nicht ganz so weit. Allerdings erhalten wir mehr und mehr Anfragen. Auch schon aus Bern.

*Hernani Marques, 29, ist Student der Universität Zürich im Master Computerlinguistik, Soziologie und Neuroinformatik

**Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs

***IMSI-Catcher sind Geräte, die (etwa in den USA) von Polizei und Nachrichtendiensten zur Lokalisierung und zum Abhören von Handys benutzt werden. Sie können auch dazu dienen, die Handys lahmzulegen.

****Schweizerische Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität

Der CCCZH

Der Chaos Computer Club Zürich ist eine Hacker-Organisation, die sich als Teil der Zivilgesellschaft sieht. Er hat sich lose erstmals im Jahr 2004 getroffen und 2005 Vereinsstatuten angenommen. Mitglieder kommen regelmässig zusammen und behandeln technische sowie digital- und netzpolitische Themen. Der CCCZH ist Teil des CCC in Deutschland, des CCC Schweiz und der Digitalen Gesellschaft Schweiz. Derzeit habe der CCCZH im Kern etwas über 40 Mitglieder, mit den losen Zugewandten seien es rund 200.

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