Nati-Effekt«Der Balkan wird plötzlich cool»
Alle Schweizer WM-Tore gehen bisher auf das Konto von Spielern mit Wurzeln im Balkan. Laut einem Experten könnte dies das Image ihrer Landsleute in der Schweiz massiv aufwerten.

Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri und Valon Behrami könnten den Balkan-Staaten in der Schweiz zu neuer Sympathie verhelfen.
Er ist der Liebling der Nation: Xherdan Shaqiri hat die Schweiz mit seinem Hattrick gegen Honduras in den WM-Achtelfinal befördert. Derzeit strahlt er von jeder Plakatwand, hat in jedem Werbeblock seinen Auftritt. Ein Kosovo-Albaner als Superstar - das ist in der Schweiz alles andere als selbstverständlich. Bei der Frage nach den «sympathischsten Ausländern» belegten die Albaner/Kosovaren im Jugendbarometer 2010 des Forschungsinstituts GFS Bern den unrühmlichen letzten Platz.
Inzwischen haben sie in der Sympathieskala möglicherweise Boden gutgemacht: Denn nicht nur Shaqiri lässt derzeit die Herzen der Schweizer Fussballfans höherschlagen. Alle sieben Tore, die die Nati in der Gruppenphase der Fussball-Weltmeisterschaft geschossen hat, gehen auf das Konto von Spielern mit Wurzeln im Balkan (siehe Box).
«Albanischer Akzent plötzlich charmant»
Dies macht sich laut Ekin Yilmaz, Co-Präsidentin von Secondos Plus, bemerkbar: «Irgendetwas ist passiert. Plötzlich wissen die Leute, wie man Mehmedi schreibt.» Es störe niemanden mehr, wenn die Nati-Stars teils mit deutlichem Akzent Produkte bewerben - «im Gegenteil, viele Leute finden das nun charmant». Yilmaz wünscht sich, dass sich diese neugewonnene Akzeptanz auch auf das reale Leben überträgt.
Blerim Shabani, Journalist des albanisch-schweizerischen Newsportals Albinfo, sagt: «Es ist schön, wenn Spieler wie Shaqiri oder Xhaka der ganzen Schweiz Freude bereiten.» Er bestätigt, die Erfolge der Balkan-stämmigen Spieler machten die Albaner in der Schweiz nicht nur stolz, sondern weckten auch die Hoffnung auf mehr Akzeptanz in der Gesellschaft.
«Albaner sind die neuen Italiener»
Laut dem Basler Integrationsexperten und Stadtentwickler Thomas Kessler sind diese Hoffnungen begründet: «Die Albaner machen heute dieselbe Entwicklung durch wie die Italiener in den späten 70er-Jahren.» Damals seien die Immigranten aus dem Süden ebenfalls mit vielen negativen Klischees konfrontiert gewesen: «Sie galten als Frauenhelden, faul und kriminell.» Dass sich das geändert habe, sei unter anderem dem Weltmeistertitel der Italiener im Jahr 1982 zu verdanken.
Kessler erinnert sich: «Ich habe damals in Basel miterlebt, wie plötzlich viele Schweizer im Autocorso der Italiener mitfuhren und sich von ihrer Lebensfreude anstecken liessen.» Auf einen Schlag habe Italianità als cool gegolten, Restaurants mit italienischen Namen seien in Mode gekommen. «Auch der Balkan wird in der Schweiz bald hip sein», prognostiziert Kessler. So gälten Ferien in Albanien heute noch als Geheimtipp, würden wohl aber bald zum grossen Renner bei den Reiseveranstaltern. Kessler schätzt, dass sich das Image der Albaner in fünf bis zehn Jahren grundlegend gewandelt haben wird.
Kurzlebiger Hype?
Blerim Shabani hingegen befürchtet, dass der Hype bei der nächsten schlechten Leistung der Nati wieder abflaut. Zu fest seien gewisse Klischees in der Bevölkerung verankert. Kessler räumt ein, die erste, oberflächliche Euphorie werde wohl wieder verfliegen. Unterschwellig bleibe aber ein wichtiger Eindruck zurück: «Die Leute realisieren, dass sich nicht nur Shaqiri anstrengt in seinem Beruf, sondern auch viele seiner nicht-bekannten Landsleute.»
Schaffe die multikulturelle Truppe von Ottmar Hitzfeld am Dienstag gar die Sensation gegen Argentinien, würde dies laut Kessler zu einem regelrechten Integrationsschub führen: «Dann wären die Jungs aus dem Balkan Helden - niemand käme mehr an ihnen und ihrer Geschichte vorbei.»
Schweizer Torschützen in Brasilien
Haris Seferovic (Bosnien-Herzegowina)
Admir Mehmedi (Mazedonien)
Granit Xhaka (Kosovo)
Blerim Dzemaili (Mazedonien)
Xherdan Shaqiri (Kosovo)
Weitere Spieler mit Wurzeln in Südosteuropa
Gökhan Inler (Türkei)
Valon Behrami (Kosovo)
Mario Gavranovi (Kroatien)
Josip Drmi (Kroatien)
Philippe Senderos (Elternteil aus Serbien)
(jbu)