AsylmissbrauchAsylsuchende sollen DNA-Test machen
Der Nationalrat fordert im Kampf gegen Kriminalität DNA-Tests für bestimmte Asylsuchende. Knapp abgelehnt wurde ein Vorstoss der SVP-Fraktion. Dieser wollte vorläufig Aufgenommene vom Familiennachzug ausschliessen.

Asylbewerber im Empfangszentrum in Chiasso. Laut SVP-Nationalrat Heinz Brand hat sich die Situation in der Schweiz - trotz Neuregelungen wie dem 48-Stunden-Verfahren -nicht verbessert.
An der ausserordentlichen Session zum Thema Asylmissbrauch hat der Nationalrat heute überraschend viele der 30 Vorstösse angenommen. Knapp Ja gesagt hat er am Mittwoch zu einer Motion von Christophe Darbellay (CVP/VS), der DNA-Tests für bestimmte Asylsuchende forderte. Mit 92 zu 85 Stimmen bei 12 Enthaltungen hat die grosse Kammer dem Anliegen zugestimmt.
Sagt auch der Ständerat Ja, muss der Bundesrat eine Rechtsgrundlage schaffen, die den Behörden erlaubt, Asylbewerber einem DNA-Test zu unterziehen. Der Bundesrat ist gegen diese Idee. Das Erstellen und Sichern von DNA-Profilen stelle einen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen dar, schrieb er in seiner Antwort auf den Vorstoss.
Polizeidirektoren dagegen
Darbellay schlage vor, DNA-Profile nicht für Personen zu erstellen, die eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigt seien, sondern präventiv und systematisch für gewisse Kategorien von Asylsuchenden. Dies widerspreche dem Verfassungsgebot der Verhältnismässigkeit, hielt der Bundesrat fest. Gegen DNA-Tests hatte sich auch die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) ausgesprochen.
Darbellay hatte seinen Vorstoss damit begründet, dass die Delikte in manchen Kantonen seit dem arabischen Frühling stark zugenommen hätten. DNA-Tests seien kostengünstig und würden es erlauben, Asylbewerber im Falle von Vergehen zu identifizieren.
Straffällige und randalierende Asylsuchende in Zentren
Der Nationalrat stimmte dem Vorstoss im Rahmen einer Sonderdebatte zu den Abkommen von Schengen und Dublin zu, welche die SVP gefordert hatte. Der Rat hatte über rund 30 Vorstösse zu befinden. Angenommen hat er unter anderem auch einen Vorstoss der FDP-Fraktion, wonach straffällige und randalierende Asylsuchende, die sich bereits in einem Kanton aufhalten, umgehend in Bundeszentren zurückgebracht werden sollen.
Knapp abgelehnt hat der Rat einen Vorstoss der SVP-Fraktion. Diese wollte vorläufig Aufgenommene vom Familiennachzug ausschliessen. Der Rat sprach sich mit 92 zu 91 Stimmen bei 7 Enthaltungen dagegen aus. Chancenlos blieb die Forderung, das Schengen-Abkommen zu kündigen. Dies lehnte der Rat mit 127 zu 55 Stimmen bei 7 Enthaltungen ab.
«Hort der Unsicherheit»
Bei der Debatte nutzten die SVP-Vertreter die Gelegenheit, ihre Sichtweise darzulegen. Im Vordergrund stand die Kritik am Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum. Die Schweiz sei deswegen «ein Hort der Unsicherheit» geworden, sagte Adrian Amstutz (SVP/BE). Sie sei «trauriges europäisches Mittelmass», in manchen Bereichen sogar an der Spitze.
«Unser Land wird ausgenommen wie eine Weihnachtsgans», sagte Amstutz mit Blick auf Einbrüche. Es sei höchste Zeit, dass die Politik Gegensteuer gebe. Marco Romano (SVP/TI) stellte fest, das Problem sei vielleicht in der übrigen Schweiz nicht so gross wie in den Grenzregionen. Dies werde sich aber noch ändern. Andrea Geissbühler (SVP/BE) bilanzierte, die Sicherheit der Bevölkerung sei nicht mehr gewährleistet.
Blosse Stimmungsmache
Die Vertreterinnen und Vertreter der anderen Parteien stellten diese Darstellung in Frage. Sie warfen der SVP vor, mit falschen Zahlen zu jonglieren und damit Emotionen zu schüren. Das Ziel der Debatte sei einzig, Stimmung zu machen und den Teppich zu legen für kommende Volksabstimmungen, kritisierte Martin Landolt (BDP/GL). Mit Sachpolitik habe dies nichts zu tun.
Schengen habe unter dem Strich mehr Sicherheit gebracht, lautete der Tenor bei den anderen Parteien. Tatsache sei, dass die Schweiz von den offenen Grenzen enorm profitiere, sagte Thomas Maier (GLP/ZH). Die Personenfreizügigkeit und das Schengen-Abkommen seien ein wichtiger Faktor dafür, dass es der Wirtschaft so gut gehe.
Steinzeit der Polizeiarbeit
Ohne Schengen würde die Schweiz in die Steinzeit der Polizeiarbeit zurückfallen, warnte Carlo Sommaruga (SP/GE). Die internationale Zusammenarbeit habe sich bewährt, sagte Isabelle Moret (FDP/VD). Man müsse das System nicht abschaffen, sondern verbessern.
Viele Rednerinnen und Redner wiesen auch darauf hin, dass es schon vor dem Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum keine systematischen Grenzkontrollen gegeben habe. Nur etwa 3 Prozent des grenzüberquerenden Personenverkehrs seien kontrolliert worden, stellte Evi Allemann (SP/BE) fest. Kriminaltourismus gebe es ausserdem nicht erst seit Schengen.
Kriminalität in Wellen
Schengen könne man durchaus kritisieren, sagte Balthasar Glättli (Grüne/ZH). Es handle sich nämlich um ein Mittel, die «Festung Europa» auszubauen. Schengen sei also «beste SVP-Politik», einfach auf europäischem Niveau. Kriminalität dürfe nicht verniedlicht, müsse aber versachlicht werden.
In den letzten 30 Jahren habe sich Kriminalität immer in Wellen bewegt, gab Glättli zu bedenken. So habe es etwa im Jahr 1982 mehr Einbrüche gegeben als heute. «Das ganze Gerede von der Kriminalitätsexplosion ist schlicht eine statistische Lüge».
«Eine absolute Schnapsidee»
Der SVP nicht ganz widersprechen mochte Ruth Humbel (CVP/AG). Die CVP stelle die internationale Zusammenarbeit im Rahmen von Schengen und Dublin zwar nicht in Frage. Die Probleme seien aber eine Tatsache und müssten ernst genommen werden. SVP-Präsident Toni Brunner kritisierte zum Ende der Debatte, das Problem werde schöngeredet.
Justizministerin Simonetta Sommaruga stellte dies in Abrede. Auf die grenzüberschreitende Kriminalität gebe es indes nur eine Antwort, nämlich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Und genau das bringe Schengen und Dublin. Die Abkommen zu kündigen, sei eine «absolute Schnapsidee».

«Politische Werbung für Partei»
Marc Bühlmann*, der Nationalrat behandelt heute 30 Vorstösse zum Thema Asylmissbrauch. Ist der Handlungsbedarf so gross?
Ein Grossteil der Vorstösse stammt von der SVP. Das zeigt, dass es sich bei der Ausserordentlichen Sessione vor allem um eine politische Debatte handelt. Sie kann daher auch als politische Werbung für eine Partei gesehen werden.
Gibt es denn überhaupt Vorstösse mit Chancen?
Die Idee, den Schengen-Vertrag aufzukündigen, wird sicherlich chancenlos sein. Am ehesten auf offene Ohren dürften die Vorstösse für eine Aufstockung des Grenzwachtkorps stossen.
Müssten ausserordentliche Sessionen nicht generell abgeschafft werden?
Eine ausserordentlichen Session verfolgt zwei Ziele. Erstens soll sie die Möglichkeit bieten, auf besondere Ereignisse zu reagieren. Zweitens war die Idee, dass Minderheiten die politische Agenda mitbestimmen können. Seit dem Jahr 2000 fanden 17 ausserordentliche Sessionen statt, die vor allem von Mitgliedern der SVP- und der SP-Fraktion einberufen wurden. Sollten ausserordentliche Sessionen als Profilierungsmittel überhand nehmen, dürften die Räte bald Gegensteuer geben. (jep)
*Marc Bühlmann ist Politologe am Institut für Politikwissenschaften der Universität Bern.