«Der Volkswille wird mit Füssen getreten»

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Auschaffungen«Der Volkswille wird mit Füssen getreten»

Das Zürcher Obergericht hat einen Deutschen nicht ausgewiesen, obwohl das Schweizer Recht dies vorsehen würde. Dafür gibts Lob und Kritik.

Jennifer Furer
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Jennifer Furer
Der mehrfach vorbestrafte Deutsche C.S*. aus dem Kanton Thurgau attackierte zusammen mit einer Gruppe einen Mann. Eine Tat, die gemäss schweizerischem Recht eine Ausschaffung nach sich zieht.
Das Bezirksgericht hielt sich an das Umsetzungsgesetz zur SVP-Ausschaffungsinitiative, das seit Oktober 2016 in Kraft ist: Angriff ist im Katalog der Straftaten aufgeführt, die automatisch einen Landesverweis nach sich ziehen. Eine Ausnahme sieht das Strafgesetzbuch einzig für Härtefälle vor – ein solcher lag nach Ansicht des Gerichts aber nicht vor.
Das Zürcher Obergericht hatte das Urteil der Vorinstanz umgestossen: Der Deutsche durfte in der Schweiz bleiben. Nun hat das Bundesgericht jedoch entschieden, dass der Schläger für fünf Jahre das Land verlassen muss.
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Der mehrfach vorbestrafte Deutsche C.S*. aus dem Kanton Thurgau attackierte zusammen mit einer Gruppe einen Mann. Eine Tat, die gemäss schweizerischem Recht eine Ausschaffung nach sich zieht.

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Das Zürcher Obergericht hat den 27-jährigen Deutschen C. S.* nicht ausgewiesen, obwohl er einen Angriff begangen hat. Diese Tat zieht gemäss dem Umsetzungsgesetz zur SVP-Ausschaffungsinitiative einen automatischen Landesverweis nach sich. Das Gericht hat aber das Freizügigkeitsabkommen (FZA) höher gewichtet als das Landesrecht. Dieses sieht eine Ausschaffung nur bei einer öffentlichen Gefährdung vor.

SVP-Nationalrat Toni Brunner ist entsetzt über dieses Urteil: «Es hat eine verheerende Signalwirkung.» Kriminellen EU-Bürgern werde so gezeigt, dass sie ohne gröbere Strafen, sprich den Landesverweis, davonkommen. Der Fall zeige, dass die Justiz politisch motivierte Urteile fälle: «Das Volk hat die Ausschaffungsinitiative angenommen. Nun wird der Entscheid mit Füssen getreten.»

«Der Entscheid des Volkes wird mit Füssen getreten»

Von einer «pfefferscharfen Umsetzung», wie sie die Gegner der Durchsetzungsinitiative versprochen hatte, könne in keinster Weise die Rede sein. Er führe wie versprochen eine Strichli-Liste über die Ausschaffungen – diese sei überraschend kurz. Bei der Durchsetzungsinitiative (DSI) hätten die Gegner nie kommuniziert, dass bei der Umsetzung EU-Bürger geschont würden. «Das Volk wurde also angelogen.»

Andrea Caroni, FDP-Ständerat und Gegner der Ausschaffungsinitiative, widerspricht Brunner: Das Parlament habe die Ausschaffungsinitiative «pfefferscharf umgesetzt». Er sieht die Richter in der Pflicht: «Das Umsetzungsgesetz muss auch von der Justiz angewandt werden.» Beschliesse das Parlament bewusst ein schärferes Ausschaffungsgesetz, sei dies hinzunehmen, «auch wenn in einzelnen Fällen die Bilateralen verletzt werden».

SVP setzt auf Initiaitve gegen «fremde Richter»

Die SVP rührt derweil bereits die Werbetrommel für die zustande gekommene Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» (Selbstbestimmungsinitiative). Diese sieht unter anderem vor, dass die Bundesverfassung dem Völkerrecht vorgeht — notfalls müssten die völkerrechtlichen Verträge gekündigt werden. «Die Bundesverfassung muss wieder Vorrang vor den internationalen Verpflichtungen haben», sagt Ex-SVP-Präsident Brunner.

Dass die SVP das Urteil mit ihrer Selbstbestimmungsinitiative verbindet, ärgert SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann: «Es ist stillos, dass die SVP versucht, aus einem Einzelfall Kapital zu schlagen. Würde die Selbstbestimmungsinitiative angenommen, wäre das fatal.» Damit würde sich die Schweiz von der Regeln der Einhaltung der internationalen Verträgen entfernen. Dabei habe sie als kleines Land grosses Interesse an einer internationalen Ordnung, die auf Recht statt auf blanke Machtpolitik fusst.

«Ich will in einem Land leben, das Verträge einhält»

Das Urteil des Obergerichts entspreche dem geltenden Recht und dem Volkswillen, sagt Nordmann. «Es fand mit der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative eine Verschärfung statt, aber nicht zulasten der Grundrechte und des internationalen Rechts.» Letzteres habe Volk klar zum Ausdruck gebracht, indem es die Durchsetzungsinitiative der SVP im vergangenen Jahr abgeschmettert habe.

Dass Gerichte nicht zum «Schlagarm der SVP» werden sollten, findet auch Flavia Kleiner, Co-Präsidentin von Operation Libero, die die DSI vehement bekämpft hatte. Sie stellt sich hinter das Urteil: «Rechtlich gesehen, hat das Freizügigkeitsabkommen Vorrang. Ich will in einem Land leben, das Verträge einhält.»

Auch deshalb sei es nicht verhältnismässig und im Interesse des Landes, die Selbstbestimmungsinitiative anzunehmen. «Es ist eine Saumode der SVP, nicht umsetzbare Initiativen zu lancieren», sagt Kleiner. Sie glaube und hoffe nicht, dass dieser Einzelfall der Selbstbestimmungsinitiative der SVP Auftrieb geben werde.

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