«Die Gefahr lässt sich nie ganz eliminieren»

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Ex-Dschihad-Kämpfer«Die Gefahr lässt sich nie ganz eliminieren»

Der erste Schweizer Dschihadist ist aus Syrien zurückgekehrt. ETH-Sicherheitsexperte Lorenzo Vidino erklärt, wie sich Ex-Gotteskrieger wieder in die Gesellschaft integrieren lassen.

von
Caroline Freigang
Junge Muslime aus dem Westen reisen nach Syrien, um zu kämpfen, wie dieser junge Däne. Die Wiederintegration in der Heimat bringt viele Probleme mit sich, wie ETH-Sicherheitsexperte Lorenzo Vidino erklärt.

Junge Muslime aus dem Westen reisen nach Syrien, um zu kämpfen, wie dieser junge Däne. Die Wiederintegration in der Heimat bringt viele Probleme mit sich, wie ETH-Sicherheitsexperte Lorenzo Vidino erklärt.

Es ist wieder ein Fall bekannt geworden von einem Schweizer Dschihadisten, der aus Syrien zurückgekehrt ist. Laut dem Nachrichtendienst des Bundes (BND) ist er einer von rund 15 hiesigen Syrienkämpfern. Wie soll die Schweiz mit diesen umgehen, wenn sie wieder daheim sind?

Lorenzo Vidino: Die wichtigste Frage ist, ob die Rückkehrer gefährlich sind. Dies hängt stark von ihren Motiven ab. Einige gehen nach Syrien, weil sie in der Schweiz radikalisiert wurden, andere werden vor Ort radikalisiert. Oft kommt es aber auch vor, dass ein junger Muslim auf Twitter dschihadistische Parolen liest und daraufhin, wie schon seine Kollegen, ins Kampfgebiet fliegen will. Diese Muslime fahren oft des Abenteuers wegen nach Syrien, nicht weil sie grundlegende Ressentiments gegenüber der westlichen Welt empfinden.

Was kann denn die Schweiz als Rückkehrland konkret tun?

Die Schweiz hat einen gemischten Ansatz. Erstens setzt sie die Justiz auf die Rückkehrer an. Dies ist rechtlich gesehen immer noch sehr schwierig, weil allein die Reise nach Syrien noch kein Verbrechen ist. In einem Schweizer Gericht muss bewiesen werden, dass ein Individuum terroristische Handlungen durchgeführt hat. Und nicht jeder Dschihadist ist so dumm, dass er Beweisbilder auf Facebook postet oder vor Freunden zuhause von seinen «Heldentaten» im Ausland prahlt.

Was ist mit Überwachung?

Die Überwachung durch die Polizei und den Geheimdienst ist der zweite Punkt. Wie extensiv überwacht werden kann, hängt von den Mitteln eines Staates ab. In Ländern wie Belgien, wo etwa 40 Personen zurückgekommen sind, ist das ein riesiger Aufwand. In der Schweiz sind bis jetzt insgesamt etwa 15 Dschihadisten zurückgekommen, da ist das einfacher. Als drittes werden Resozialisierungsmassnahmen durchgeführt.

Wie sehen solche sanfteren Massnahmen aus?

Dazu gehören psychologische Hilfe, Beratung der Familien oder auch Gespräche mit reintegrierten Rückkehrern. Diese können von ihren eigenen Erfahrungen erzählen, beispielsweise wie sie in Afghanistan oder Syrien gekämpft haben und wie sehr sie diese Erfahrungen bereuen. Oft werden auch Imame herbeigezogen, die mit Jugendlichen sprechen. Bei solchen Programmen hinkt die Schweiz anderen Ländern noch etwas hinterher.

Kann man denn Terroristen mit psychologischer Beratung dazu bringen, nicht mehr gewalttätig zu werden?

Die Idee ist, dass nicht jeder, der zurückkommt, dem Westen schaden will. Darum versucht man, diese wiedereinzugliedern. Es gibt zum Beispiel den Fall von Teenagern, die einfach nur naiv sind. Die kommen zurück und sind schockiert von dem, was sie in Syrien gesehen haben. Bei diesen nützt die psychologische Beratung – im Gegensatz zu den Hardlinern, die noch radikaler zurückkommen. Die Philosophie hinter solchen Projekten ist Risikominimierung: Keiner denkt, dass psychologische Betreuung die Ideologie von Menschen ändern kann.

Ganz konkret: Gehen Beamte bei einem Syrienrückkehrer vorbei und fragen, ob er an einem Programm zur De-Dschihadisierung teilnehmen möchte?

Es gibt verschiedene Szenarien, wie man an Ex-Dschihadisten herankommt. Im Idealfall tritt die Familie eines Rückkehrer an die Behörden oder wohltätige Organisation heran und bittet um Hilfe. Dann wird versucht, der Person einen Job oder eine Ausbildung zu vermitteln sowie sie mit psychologischer und religiöser Beratung zu unterstützen. Ein Weg ist auch über das Gesundheitssystem: So haben viele Rückkehrer Kampfverletzungen oder emotionale Probleme und sind deshalb in Behandlung. Sie können dann direkt in ein System zur Deradikalisierung integriert werden. Manchmal klopfen die Behörden aber im wahrsten Sinne des Wortes an die Türe. Oft ist es eine Zuckerbrot-und-Peitschen-Situation: «Entweder du redest mit uns vom Reintegrationsprogramm – oder mit der Polizei.»

Gibt es internationale Beispiele für erfolgreiche Reintegrationsprogramme mit radikalen Islamisten?

Ein Mitglied der niederländischen Hofstad-Gruppe, die für den Mord an Theo van Gogh verantwortlich war, hat dort erfolgreich ein Reintegrationsprogramm durchlaufen. Nachdem er drei Jahre für Terrorismus im Gefängnis sass, war er für zwei Jahre Teil eines Programms mit Sozialarbeitern und Psychologen. Mittlerweile arbeitet der Mann sogar für die Stadt Amsterdam und hält in Problemstadtteilen Vorträge über seine Erfahrungen. Das ist eine Erfolgsstory, aber diese Programme funktionieren nicht immer. Man kann die Gefahren, die von ehemaligen Terroristen ausgehen, unmöglich komplett eliminieren.

Angenommen, alle Bemühungen der Reintegration scheitern und ein zurückgekommener Dschihadist führt einen terroristischen Anschlag aus: Wer ist dafür verantwortlich? Der Staat wegen fehlender Gesetze? Der Nachrichtendienst wegen mangelnder Überwachung? Oder die Sozialdienste mit ihrem Glauben ans Gute im Mensch?

Prävention ist letztendlich Arbeitsteilung: Der BND überwacht und sammelt Informationen, auch von Partnern im Ausland. Die Polizei verfolgt die Straftaten. Der Bund gibt den gesetzlichen Rahmen vor. Angenommen, ein Schweizer Dschihadist kommt aus Syrien zurück, dann geht er eines Tages auf die Strasse und erschiesst Menschen. In einem solchen Fall ist es schwierig, einer Behörde direkt die Schuld zuzuweisen. Es lässt sich schlicht nicht jeder Anschlag verhindern.

Wie gross ist denn Gefahr für die Schweiz durch die Rückkehrer überhaupt?

Generell lässt sich sagen, die Schweiz ist derzeit noch kein grosses Terrorziel – im Gegensatz zu Ländern wie Grossbritannien oder Frankreich. Natürlich besteht auch in der Schweiz immer ein gewisses Risiko, dass zurückgekehrte Dschihadisten einen Terrorakt in der Schweiz planen. Die Behörden wissen, dass gewisse Personen ein Gewaltpotenzial haben und zu Attentaten fähig sind.

SVP-Mann nimmt Dschihadisten ins Visier

SVP-Nationalrat Lukas Reimann hat im März einen Vorstoss eingereicht, um auch die unentgeltliche Beteiligung an «armeeähnlichen» Organisationen im Ausland unter Strafe zu stellen – der St. Galler hat damit vor allem Schweizer Dschihadisten im Visier. Bisher ist in der Schweiz nur Kriegsdienst in offiziellen Armeen gegen Sold verboten, etwa in der französischen Fremdenlegion. Auch die Anwerbung von Gotteskriegern soll nach dem Willen Reimanns mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden. (cfr)

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