Generation Praktikum«Die Jungen haben Angst vor dem Abstieg»
Sie stecken ihre ganze Energie in Ausbildung und Job und kommen dennoch auf keinen grünen Zweig. Die Autorin Kristine Bilkau über die Generation Praktikum.

Autorin Kristine Bilkau zeichnet in ihrem Roman «Die Glücklichen» ein ernüchterndes Bild der Generation Praktikum.
Kristine Bilkau, in Ihrem neuen Roman «Die Glücklichen» beschreiben Sie den beruflichen und privaten Abstieg eines jungen Paars. Welche Parallelen lassen sich zur Realität ziehen?
Seit die Finanzkrisen so gehäuft vorkommen, sind die Arbeitsmärkte viel härter geworden. Berufseinsteiger hangeln sich von einem befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten. Die Angst, den Job zu verlieren, die Familie nicht mehr ernähren zu können, und gesellschaftlich abzusteigen, sitzt fest in den Köpfen der jungen Frauen und Männer.
Von welcher Generation ist die Rede?
Ich hatte dabei die erwachsen gewordene Generation Praktikum im Kopf. Meine Protagonisten sind ein junges Paar zwischen Mitte dreissig und Anfang vierzig. Diese Generation ist sehr behütet aufgewachsen und ist gut ausgebildet. Die Eltern gaben ihren Kindern das Grundgefühl, dass ihnen alle Möglichkeiten offenstehen und sie alles erreichen könnten.
Dennoch sind sie nicht glücklich …
Meine Romanfiguren haben es in der Krisenzeit, in der sie stecken, zumindest vergessen.
Obwohl sie alles gegeben haben, steigen die Jungen nicht die soziale und ökonomische Leiter hoch, sondern steigen ab. Welt.de spricht von einem Neoproletariat.
Meiner Meinung nach fallen Akademiker, die absteigen, nicht automatisch ins Neoproletariat. Aber ich bin keine Soziologin und möchte mich deshalb nicht anmassen, eine Schicht begrifflich einzuordnen. Der Soziologe Heinz Bude hat sich zum Beispiel mit dem Thema auseinandergesetzt und meint mit dem «neuen Proletariat» vor allem Menschen, die trotz Arbeit von ihrem Lohn kaum leben können. Da geht es noch um eine ganz andere Form von Abstieg.
Dennoch: Den Traum vom eigenen Haus und Auto können sie viele junge engagierte Menschen heutzutage abschminken, oder nicht?
Eine Kollegin sagte mir, dass ein Familienvater vor dreissig Jahren zehn Jahre brauchte, um ein Haus abzubezahlen. Heute brauche man hingegen ungefähr 30 Jahre, um eine Immobilie abzubezahlen. Weil die Preise so stark gestiegen sind, ist es viel schwerer geworden, sich ein eigenes Heim zu schaffen. Diejenigen, die nicht zu den grossen Erben gehören, kommen kaum auf einen grünen Zweig. Gleichzeitig setzen sich die jungen Leute enorm unter Druck, denn sie wollen auf keinen Fall scheitern.
Woher kommt diese grosse Angst vor dem Scheitern?
Es herrscht eine Null-Fehler-Mentalität. Die Generation Y ist mit dem Gefühl aufgewachsen, alle Möglichkeiten zu haben. Die Zukunft war für sie immer ein so grosses Versprechen während der Schulzeit und des Studiums. Wenn einem ständig vermittelt wird, etwas ganz Besonderes zu sein, wird der Raum zum Scheitern immer kleiner. Schon bei kleinen Misserfolgen hinterfragen sich diese Menschen stark und sehen sich als grosse Verlierer. Meine Romanfiguren zum Beispiel sprechen nicht über ihre Ängste und lassen auch nicht durchblicken, dass es ihnen schlecht geht. Dabei haben beide, jeder für sich, Angst vor dem sozialen und finanziellen Abstieg.
Was tun sie stattdessen?
Ich habe den Eindruck, viele Menschen ziehen Glücksfassaden hoch und tun nach aussen so, als wäre alles in Ordnung. Das nach aussen demonstrierte Glück nimmt auch durch neue Medien zu. Beispiel: die Instagram-Mütter im perfekten Kleidchen, die auf den Fotos ihre wunderschönen Küchen mit Vintage-Geschirr und ihre Kinder im Rosengarten präsentieren.
Wie macht sich diese Generation als Eltern?
Die Mütter kümmern sich sehr liebevoll, manchmal aber zu besorgt und mit einem hohen Anspruch und wenig selbstbewusst um den Nachwuchs. Anstatt sich auf das Bauchgefühl zu verlassen, lesen sie Ratgeber. Sie wiegen alle Lebensfragen mit einer unterschwelligen Angst ab. Die Frau in meinem Roman kocht beispielsweise nur mit Mineralwasser, weil sie glaubt, das Leitungswasser könnte Blei enthalten. Auch kauft sie in ihrer Angst vor Giftstoffen nur Bio-Lebensmittel.
Sie haben eine gute Ausbildung und trotzdem das Gefühl, auf keinen grünen Zweig zu kommen? Schreiben Sie uns unter feedback@20minuten.ch
Unter Druck und verunsichert
Der Roman «Die Glücklichen» handelt von einem jungen Paar, der Cellistin Isabell und dem Zeitungsredaktor Georg. Sie sind glückliche Eltern eines kleinen Sohnes, gleichzeitig aber auch unter Druck und verunsichert. Isabell erlebt einen schwierigen Wiedereinstieg in den Beruf. Zitternde Hände machen ihr das Spielen im Orchester unmöglich. Georg arbeitet derweil bei einer dem Untergang geweihten Zeitung. Beide verlieren ihren Job. Das Paar gerät in finanzielle Schwierigkeiten. Es ist der Beginn eines leisen sozialen Abstiegs. Gegenseitig treiben sich die Protagonisten immer mehr in die Enge. Am Ende droht die kleine Familie zu zerbrechen.