Finanzausgleich«Die Kantone driften auseinander»
Die armen Kantone sollen von den reichen künftig etwas weniger Geld bekommen. Richtig oder falsch? Margret Kiener Nellen (SP) und Joachim Eder (FDP) kreuzen die Klingen.
Herr Eder, als durchschnittlicher Zuger zahlen Sie aktuell jährlich über 2800 Franken in den Nationalen Finanzausgleich (NFA). Geld, das in andere Kantone fliesst – zum Beispiel nach Bern, wo Frau Kiener Nellen lebt. Der Nationalrat hat nun beschlossen, dass Sie künftig etwas weniger zahlen sollen. Zufrieden?
Eder: Ja, das war ein absolut weitsichtiger und kluger Entscheid. Es ist ein psychologisch wichtiges Zeichen an die Bevölkerung in den Geberkantonen. Die Bürger verstehen es nämlich nicht, wenn sie immer mehr und mehr für die Bewohner anderer Kantone bezahlen müssen.
Kiener Nellen: Ich bezweifle stark, dass dieser Entscheid weitsichtig ist. Wenn man die Beiträge reduziert, nimmt man das Risiko in Kauf, dass beispielsweise die Finanzkraft des Kantons Jura unter die gesetzliche Mindestgrenze fällt. Damit würde die Solidarität in unserem Land untergraben. In der Präambel der Bundesverfassung heisst es: «Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen.»
Nehmen Sie es in Kauf, dass die Solidarität in der Schweiz leidet, Herr Eder?
Eder: Gewiss nicht. Der Kanton Zug ist es sich gewohnt, dass er die Milchkuh der Nation ist. Wie erwähnt zahlen wir 2800 Franken pro Person – Greise und Säuglinge inbegriffen. Trotzdem stehen wir und alle anderen Geberkantone voll und ganz hinter dem NFA. Er ist ein Jahrhundertwerk, das den Ausgleich und die Solidarität zum Ziel hat. Doch in den letzten Jahren haben die Nehmerkantone mehr erhalten als vorgesehen. Alle haben die vereinbarten Mindestziele erreicht oder übertroffen. Deshalb ist es richtig, den Betrag nun zu ändern. Ich verstehe nicht, dass Sie als Vertreterin eines Nehmerkantons unter diesen Umständen nicht die Sensibilität haben zu sagen: Wir entlasten nun die Geberkantone.
Kiener Nellen: Wie es der Name schon sagt, sind es lediglich Mindestziele, die erreicht wurden. Sie dürfen also überschritten werden. Wenn man jetzt hingegen wieder kürzt, könnten die Kantone Jura und Uri in den nächsten vier Jahren unter diese Armutsgrenze fallen. 20 Kantone haben zurzeit Abbauprogramme ihrer Leistungen. Und das, während der Kanton Zug die Aktionäre steuerlich vergoldet und in Scharen angelockt hat. Das ist ungerecht und unsolidarisch.
Eder: Der Kanton Jura oder der Kanton Uri sind überhaupt nicht das Problem. Denen würde unsere Bevölkerung wahrscheinlich auch den dreifachen Betrag geben. Aber im Kanton Aargau beispielsweise hat die Bevölkerung letztes Wochenende Nein gesagt zu einem kleinen Sparpaket von 17 Millionen Franken. Bern und Wallis lassen ihre Angestellten frühpensionieren. Darüber können wir in den Geberkantonen nur den Kopf schütteln. Für uns ist die Schmerzgrenze erreicht.
Mit dem Beschluss des Nationalrats bekäme der Kanton Bern künftig 90 Millionen Franken weniger pro Jahr. Wo würde dieses Geld fehlen?
Kiener Nellen: Der Kanton Bern hatte bereits letztes Jahr ein riesiges Abbaupaket über die Bühne gebracht. Es gab drastische Sparmassnahmen bei Spitex, Volksschulen, Berufsschulen und bei der Sozialhilfe. Die Verbilligung der Krankenkassenprämien wurde massiv reduziert. Wenn es bei diesem Beschluss bleiben sollte, werden wir den Gürtel noch enger schnallen müssen. Die Geberkantone hungern uns aus, spielen uns an die Wand. Es geht hier ans Lebendige!
Eder: Man muss das im Verhältnis sehen: Der Kanton Bern erhält dieses Jahr 1,23 Milliarden Franken aus dem NFA. Da müssen 90 Millionen verkraftbar sein. Sogar der ehemalige Berner Finanzdirektor Urs Gasche hat der Beitragskürzung zugestimmt – das will etwas heissen und verdient Anerkennung. Abgesehen davon schnürt die Zuger Regierung gegenwärtig ebenfalls ein Entlastungspaket von 100 Millionen Franken. Gerade Sie als SP-Politikerin sollten wissen: Nur ein wirtschaftlich starker Kanton kann ein sozialer Kanton sein. Man sollte uns also nicht schwächen, sondern stärken. Denn nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber!
Wie können die finanzschwachen Kantone denn ihre Situation verbessern? Das Rentenalter erhöhen?
Eder: Das Ziel jedes Finanzdirektors sollte es doch sein, vom Nehmer zum Geber zu werden, indem er strukturelle Verbesserungen vornimmt. Es liegt mir aber fern, einem Kanton sagen zu wollen, wie er das umzusetzen hat.
Kiener Nellen: Ein Problem ist der ruinöse Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen. Die Leute fühlen sich verschaukelt, weil die Steuerkonkurrenz unter dem Finanzausgleich noch weiter zunimmt. Wenn etwa Zug mit seinem Steuerdumping im grossen Stil Aktionäre anzieht, dann können andere Kantone schlicht nicht mithalten. Die SP fordert, dass die Steuerbelastung für Personen wie für Firmen in einer gewissen Bandbreite harmonisiert wird.
Eder: Nicht Zug betreibt Steuerdumping, sondern zahlreiche Nehmerkantone: Viele haben bei den juristischen Personen deutlich tiefere Steuersätze als die Geberkantone. Das ist nicht in Ordnung.
Kiener Nellen: Einverstanden. Es gibt keinen Grund, weshalb diese Kantone noch ein verrückteres Steuerdumping betreiben sollten als Zug.
Die NFA-Vorlage geht nun zurück in den Ständerat, der sich zuletzt gegen eine Kürzung der Beiträge ausgesprochen hatte. Welchen Ausgang erwarten Sie?
Kiener Nellen: Ich gehe stark davon aus, dass der Ständerat diesen Entscheid nicht so stehen lassen und einen Kompromiss vorschlagen wird.
Eder: Ich kann Ihnen sagen – und das ist keine Drohung: In diesem Fall ergreifen wir das Kantonsreferendum. Dafür braucht es acht Kantone – und wir sind neun Geberkantone. Das wäre wohl zu erreichen. Dann gehen wir auf die Strasse und schauen einmal, was die Schweizer Bevölkerung dazu sagt!
Dann würden an der Urne Bürger, die sich geschröpft fühlen, auf solche treffen, die um den Wohlstand ihres Kantons fürchten. Das birgt Konfliktpotenzial.
Eder: Deshalb hoffe ich, dass der Ständerat dem Entscheid des Nationalrats folgt. Ansonsten wird das zu einer echten Belastungsprobe für den nationalen Zusammenhalt – mit unsicherem Ausgang.
Kiener Nellen: Gerade deshalb ist es ein Spiel mit dem Feuer, jetzt den Finanzausgleich auszuhungern! Insbesondere die Steuerkonkurrenz ärgert die Bürgerinnen und Bürger stark. Die Kantone driften auseinander. Gerade deshalb brauchen wir zumindest eine minimale Steuerharmonisierung.
Geberkantone sollen weniger bezahlen
Der Nationalrat kommt den Geberkantonen entgegen. Diese sollen in der Periode 2016 bis 2019 134 Millionen Franken pro Jahr weniger in den Nationalen Finanzausgleich einzahlen als bisher. Anders als der Ständerat stimmte der Nationalrat am Dienstag einer entsprechenden Änderung beim Ressourcenausgleich zu. Auch die Bundesbeiträge sollen um 196 Millionen Franken gekürzt werden. Die Senkung entspricht einem Vorschlag des Bundesrates. Begründet hatte die Regierung die Zahlen mit dem im Gesetz festgeschriebenen Ziel des Finanzausgleichs. Demnach sollen sich die finanziellen Ressourcen eines Kantons auf mindestens 85 Prozent des schweizerischen Durchschnitts belaufen. Die ressourcenschwachen Kantone könnten dieses Ziel auch mit den tieferen Beiträgen erreichen, zeigte sich der Bundesrat überzeugt. (sda)
So funktioniert der NFA
Der Finanz- und Lastenausgleich des Bundes hat zum Ziel die Unterschiede zwischen den Kantonen auszugleichen. Konkret heisst das, dass die starken Kantone die wirtschaftlich schwächeren Regionen unterstützen. Der NFA umfasst drei Ausgleichsgefässe: den Ressourcenausgleich, den Lastenausgleich und den Härteausgleich. Der Ressourcenausgleich wird aufgrund des Ressourcenpotenzials errechnet. Entscheidend für die Berechnung ist das steuerbare Einkommen und Vermögen der natürlichen Personen und der steuerbare Gewinn von Unternehmen.
Der Lastenausgleich kommt für geografisch-topografische und soziodemografische Sonderlasten auf. So entstehen den Gebirgskantonen zum Beispiel höhere Kosten beim Winterdienst oder im Schulwesen, weil mehr Schulbusse zur Verfügung gestellt werden müssen. In Zentrumskantonen wohnen oft überdurchschnittlich viele ältere oder arme Personen, die mehr Kosten verursachen. Derzeit gehören die neun Kantone ZH, SZ, NW, ZG, BS, BL, SH, VD und GE zu den Netto-Zahlern. Die übrigen Kantone erhalten Gelder. (sda)