Revision von WaffengesetzWaffenlobby schockiert mit Suizid-Argument
Der Kampf um die Übernahme der EU-Waffenrichtlinie wird mit harten Bandagen geführt: Selbst das Thema Suizid ist für Pro Tell nicht tabu.
«Suizid ist kein Delikt, sondern ein Menschenrecht.» Diese Aussage macht die Aktion «Finger weg vom Schweizer Waffenrecht» in ihrem Argumentarium, das sich gegen die Revision des Waffengesetzes richtet (siehe Box). Auch die Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht Pro Tell unterstützt die aufgelisteten Argumente, wie das Onlineportal «Vice» berichtet. Denn wer Waffengesetze mit dem Ziel der Suizidprävention verschärfe, behindere damit die Bürger in der Ausübung eines Menschenrechts. Weiter wird die Frage aufgeworfen: «Mit welchem Recht schreibt ein Mensch einem anderen die Wahl seines Selbsttötungsmittels vor?»
Pro Tell teilte den Beitrag auf ihrer Website mit den Worten: «Pro Tell empfiehlt den Link wärmstens.» Jean-Luc Addor, SVP-Nationalrat und Präsident von Pro Tell, erklärt auf Anfrage, was es mit dem Argumentarium auf sich hat: «Suizid ist zweifellos kein Recht, aber eine Freiheit. Für die meisten Leute und auch für Pro Tell verursachen nicht die Waffen einen Suizid.» Vielmehr wolle die Gesellschaft das Leben schützen. Aber «ohne Eingriff in die Rechte der vielen nicht gefährlichen, nicht suizidalen und nicht verrückten Waffenbesitzer», so Addor.
«Wegen Krankheit ist Suizid der vermeintlich einzige Ausweg»
Jörg Weisshaupt, Experte für Suizidprävention, findet es unverständlich und «sehr aggressiv», dass Waffenlobbyisten gerade mit dem Thema Suizid für ihre Interessen weibelten. «Sie propagieren mit der Aussage ‹Suizid ist ein Menschenrecht› den Freitod. Dabei hat kaum eine Person die Freiheit zu entscheiden, ob sie Suizid begehen will», sagt Weisshaupt. Durch eine psychische oder physische Krankheit gebe es für sie vermeintlich keinen anderen Ausweg. «Ziel ist nicht, sich das Leben, sondern das Leiden zu nehmen.» Weisshaupt spricht sich deshalb für ein strengeres Waffengesetz aus: «Es ist erwiesen, dass jede Massnahme wie das Sichern von Brücken oder die Pflicht, Waffen einzuschliessen, zu weniger Suiziden führt.»
SP-Nationalrätin Chantal Galladé ist schockiert: «Dass Suizid ein Menschenrecht sein soll, ist eine ignorante und geradezu zynische Aussage.» Sie wolle zwar niemandem das Recht auf Suizid absprechen. Doch es gebe mittlerweile erfolgversprechende Möglichkeiten etwa zur Behandlung von Depressionen, sodass Suizide verhindert werden könnten.
«Das jetzige Waffengesetz reicht aus»
Vom verschärften Waffenrecht erhofft sich Galladé, dass dadurch die Verfügbarkeit von Schusswaffen reduziert wird: «Gerade bei Familienmorden, also erweiterten Suiziden, sind es oftmals unbescholtene Bürger, die in einer Kurzschlusshandlung zur Waffe greifen und sich selbst oder andere töten.» Darum sei es richtig, dass Waffenkäufer künftig nachweisen müssten, ob sie Mitglied in einem Schützenverein sind. So will es das revidierte Waffengesetz.
Ein verschärftes Waffenrecht findet Addor übertrieben: «Niemand hat bisher ein Verbot von Lastwagen gefordert. Auch wenn Terroristen diese dazu nutzen, um in Menschenmengen zu fahren.» Man müsse die Gesetze über Waffen verhältnismässig gestalten. Das jetzige Waffengesetz reiche aus.
Jean-Luc Addor von Pro Tell sagt, man werde sich weiterhin dafür engagieren, dass diese «überflüssige, wirkungslose Revision, die einen Eingriff in Recht und Freiheit der ehrlichen Bürger bedeutet», abgelehnt wird. Hätten sie mit ihren Argumenten keinen Erfolg, würde Pro Tell, gemeinsam mit anderen Organisationen, das Referendum lancieren.
Darum geht es beim neuen Waffengesetz
Der Bundesrat plant ein Waffengesetz nach EU-Vorgaben, das etwa die Registrierung gewisser Waffentypen verlangt. Weiterhin sollen Schützenvereine und Sportschützen zwar Schusswaffen erwerben und besitzen dürfen. Neu müssten aber alle Waffenkäufer nachweisen, dass sie Mitglied eines Schützenvereins sind oder regelmässig üben. Aufgrund des Schengen-Dublin-Abkommens ist die Schweiz verpflichtet, das Waffenrecht der EU-Gesetzgebung anzupassen. Tut sie das nicht bis zum Ablauf der Frist im Mai 2019, droht eine automatische Kündigung des Abkommens.
Suizidgedanken? Hier finden Sie Hilfe
Beratung:
Dargebotene Hand: Tel. 143 (143.ch)
Online-Beratung für Jugendliche mit Suizidgedanken: U25-schweiz.ch
Angebot der Pro Juventute: Tel. 147 (147.ch)
Kirchen: (Seelsorge.net)
Anlaufstellen für Suizid-Betroffene:
Nebelmeer – Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils (Nebelmeer.net);
Refugium – Geführte Selbsthilfegruppen für Hinterbliebene nach Suizid (Verein-refugium.ch);
Verein Regenbogen Schweiz (Verein-regenbogen.ch).