«Die schwarze Liste hätte fast mein Leben ruiniert»

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Prämien nicht bezahlt«Die schwarze Liste hätte fast mein Leben ruiniert»

In mehreren Kantonen landen säumige Prämienzahler auf einer schwarzen Liste. Eine Betroffene kritisiert das System heftig.

J. Büchi
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J. Büchi

Neun Schweizer Kantone führen schwarze Listen mit den Namen säumiger Prämienzahler – und diese Listen wachsen und wachsen. Immer mehr Versicherte können oder wollen ihre Prämien nicht bezahlen – 2014 waren es schweizweit bereits mindestens 126'000 Personen. Wer auf der Liste säumiger Prämienzahler landet, wird nur noch in Notfällen medizinisch behandelt. Für die Kantone ist das System ein Erfolg. «Auf die Liste kommt, wer zahlungsunwillig ist – und nicht, wer zahlungsunfähig ist», versicherte Alain Rogger vom Kanton Luzern im Gespräch mit 20 Minuten.

Dem widerspricht eine Betroffene vehement. «Diese Behauptung ist eine Frechheit», sagt Anna Z.* (48). Die Selbständigerwerbende ist alleinerziehende Mutter einer Tochter. Vor sechs Jahren erlitt sie eine Nierenkolik und konnte ihren Beruf vorübergehend nicht mehr ausüben. «Mein Jahresgehalt schrumpfte auf einen Schlag auf ein paar Tausend Franken.» Erschwerend kam hinzu, dass sich der Vater der Tochter weigerte, seine Alimente zu bezahlen. Aufs Sozialamt wollte Z. nicht – aus Angst davor, dass der Ex-Partner der Tochter etwas antun könnte, wenn er von den Behörden zur Zahlung der Alimente gezwungen wird. Nachdem sie mehrere Prämien-Rechnungen offen gelassen hatte, wurde sie von ihrer Krankenkasse betrieben, der Kanton setzte sie auf die schwarze Liste. Die entsprechenden Unterlagen liegen 20 Minuten vor.

Ein «Rattenschwanz» an Problemen

«Von da an konnte ich meine Nierenkolik nicht mehr behandeln lassen, die Krankheit verschleppte sich», so Z. «Ich habe zwei Rückfälle erlitten und wurde immer schwächer.» Am Telefon mit der Krankenkasse habe sie geweint und versucht, ihre Situation zu erklären – genützt habe alles nichts. Auch beim Kanton sei sie aufgelaufen. «Personen wie mich als 'zahlungsunwillig' zu bezeichnen, ist einfach nur dreist», so die Luzernerin. Durch die Betreibung habe sie auch keine neue Wohnung suchen können. «Das war ein ganzer Rattenschwanz: Ein Problem folgte auf das nächste.»

Das Verhalten der Behörden sei «ein Angriff auf die Menschenwürde», findet Z. «Mit dem Listeneintrag hätten sie fast mein Leben ruiniert.» Schliesslich habe sie sich bei Bekannten Geld geliehen, um die ausstehenden Prämienrechnungen und die Wohnungsmieten der letzten Monate zu begleichen. «Bis heute habe ich 15'000 Franken Schulden.» Ihr Anliegen: «Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Personen auf der Liste Asoziale sind, die dem Steuerzahler mutwillig auf der Tasche liegen.»

Arzt entscheidet, ob Notfall vorliegt

Die Verantwortlichen des Kantons Luzern können zum konkreten Fall keine Stellung nehmen. Individuelle Gründe wie Krankheit oder finanzielle Engpässe stellten von Gesetzes wegen jedoch keinen Grund dar, nicht auf der Liste geführt zu werden, hält Alain Rogger, Leiter der Stelle für ausstehende Prämien, fest. «Wenn die Dame der Meinung gewesen wäre, zu Unrecht auf der Liste eingetragen zu sein, hätte sie eine beschwerdefähige Verfügung verlangen können.» Auch eine Schuldenberatung könne solche Situationen entschärfen. Grundsätzlich liege es im Ermessen des behandelnden Arztes, ob jemand trotz Listeneintrag behandelt werden muss.

Support erhalten Betroffene wie Z. von der Hilfsorganisation Caritas. Laut Juristin Rausan Noori haben inzwischen sechs von zehn Personen, die eine Schuldenberatung aufsuchen, Zahlungsrückstände bei den Krankenkassen. «Inzwischen ist es erwiesen, dass die schwarzen Listen nutzlos sind, aber viel Leid verursachen», so Noori. Sie fordert die Politik auf, andere Lösungen für die betroffenen Menschen zu finden.

*Name von der Redaktion geändert

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