Intelligenz«Ein Studium ist keine Garantie gegen Dummheit»
Um gescheiter zu werden, brauche es mehr als Bildung: Psychologe Allan Guggenbühl beklagt in seinem Buch die vergessene Klugheit.

Menschen mit einer hohen Schulbildung gelten für viele Leute als intelligent. Doch laut Psychologe Allan Guggenbühl ist auch der Umgang mit anderen Menschen ein Gradmesser für Klugheit. (Symbolbild: Keystone / Gaetan Bally)
Kein AnbieterAllan Guggenbühl, halten Sie sich für klug?
Ich mache mir keine Gedanken darüber, denke grundsätzlich aber: Sollte ich gescheit sein, dann nur, weil ich weiss, dass ich beschränkt bin.
Ihr Buch heisst «Die vergessene Klugheit». Warum ist die Klugheit vergessen gegangen?
In vielen Situationen wagen die Menschen nicht, selber zu denken. Sie setzen nicht ihre praktische intuitive Intelligenz ein, sondern richten sich nach dem «man sollte». Von aussen festgelegte Normen und Standards fördern diese Tendenz, das selbstständige Denken wird eingeschränkt.
Im Volksmund gelten Menschen, die ihrem Namen einen Master, Doktor oder Professor voranstellen können, als besonders klug. In Ihrem Buch bezeichnen Sie das als Unsinn. Wie kommen Sie dazu?
Durch ein Studium wird man nicht zwingend intelligenter, sondern droht auch zum Fachidioten zu werden und überschätzt wissenschaftliche Erkenntnisse.
Meinen Sie, Studieren macht dumm?
Das nicht. Aber ein Studium ist keine Garantie gegen Dummheit. Studieren heisst, sich auf ein Thema zu konzentrieren. Oft erhebt man dann das Fachwissen zur Grundlage von Entscheidungen und übersieht die konkrete Situation, für die man eine andere Lösung suchen sollte. Man folgt weniger der eigenen Kreativität.
Ist eine Putzfrau demnach klüger als ein Professor?
Das hängt von der Definition ab. Intelligenz wird oft akademisch definiert. Wer viel weiss, einen Doktortitel hat, gilt als intelligent. Es gibt aber auch die praktische Intelligenz. Im Umgang mit Menschen kann eine Putzfrau einem Professor vielleicht überlegen sein. Bei studierten Menschen besteht die Gefahr, dass sie einen Tunnelblick entwickeln und sich in ihrem Fachwissen verlieren, sie verlieren den Blick für die Praxis.
Der Kluge, schreiben Sie in Ihrem Buch, «blättert auch von Zeit zu Zeit in Boulevardblättern, schaut sich die schlimmsten Schrottfilme im Fernsehen an und studiert Klatschnachrichten».
Im Kulturschrott verstecken sich oft neue Ideen. Die Freiheit, zu denken und zu fantasieren, ist oft grösser als in offiziellen gescheiten Zirkeln. Kürzlich sah ich einen Science-Fiction-Film, in dem die Technik die Menschen immer dümmer machte. In Schrottfilmen oder auch Boulevardzeitungen werden zum Teil Entwicklungen vorweggenommen, die der gängige Denk-Kanon noch nicht erfasst hat.
Handeln unsere Politiker klug?
Ein Problem ist, dass man als Politiker versucht ist, sich nach dem öffentlichen Diskurs zu richten. Man meint, dass die Diskussion in den Medien und dem, was die Wissenschaft vertritt, der Weisheit letzter Schluss sei. Es besteht die Gefahr, dass sich die Politiker anpassen, statt selber zu überlegen, weil sie vom Volk gewählt werden wollen.
Haben Sie kluge Vorbilder?
Ja, einige. Winston Churchill hatte die Fähigkeit, unpopuläre Dinge zu sagen und zu denken, auch wenn sie ihn in unangenehme Situationen brachten. Er hat sich Zeit gegeben, selber zu überlegen, und mit sich gerungen, bis er Schlüsse zog. Auch John Lennon war ein kluger Mensch. Er erkannte die Grenzen seines Erfolgs und die Bedeutung des eigenen Beitrags.