Asylrechtsrevision«Folgen für die Städte werden verheerend sein»
Der Nationalrat will das Asylrecht massiv verschärfen – sehr zum Verdruss des Basler Sozialdirektors Christoph Brutschin (SP). Er warnt vor herumlungernden Asylbewerbern und Mehrkosten.

Christoph Brutschin (54) ist seit 2009 Basler Regierungsrat. Der SP-Politiker und Ökonom amtiert als Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Soziales und Umwelt.
Basel beherbergt eines der fünf Empfangszentren für Asylsuchende. Spüren Sie einen grösseren Andrang?
Christoph Brutschin: Ja, und die Situation ist wegen des hohen Zustroms angespannt. Im Zentrum sind rund 380 Asylsuchende untergebracht. Der Bund stösst mit den Kapazitäten immer wieder an Grenzen.
Dann müsste es Sie ja freuen, dass der Nationalrat massive Verschärfungen des Asylrechts beschlossen hat, mit denen er die Attraktivität der Schweiz für Migranten senken will.
Nein, die Schweiz bleibt so oder so ein attraktives Ziel für Menschen aus Krisenregionen. Insofern sind die Verschärfungen nicht zielführend. Uns stören darüber hinaus vor allem zwei Punkte.
Welche denn?
Erstens würden den Kantonen bei einer Umstellung von Asyl- auf Nothilfepauschale höhere Ausgaben aufgebürdet. Heute bekommen wir vom Bund pro Asylbewerber knapp 60 Franken täglich, egal wie lange das Verfahren dauert. Mit dem Nothilfe-Regime gibt es einen einmaligen Pauschalbetrag von 6000 Franken. Damit könnten die Kantone die Kosten für Unterbringung und Betreuung niemals decken, selbst wenn ein Verfahren im Durchschnitt nur noch zwei Jahre dauert.
Und zweitens?
Selbst wenn wir aus eigenen Mitteln menschenwürdige Verhältnisse herstellen wollten, dürften wir das nicht mehr – obwohl die konkrete Ausgestaltung von Sozial-, Asyl- und Nothilfe in der Zuständigkeit der Kantone liegt. Wir würden per Gesetz gezwungen, die Asylbewerber in Notschlafstellen und Zivilschutzanlagen unterzubringen. In letzteren sind die Verhältnisse sehr beengt, aber noch einigermassen erträglich. Die Notschlafstellen hingegen sind wirklich nur zum Übernachten gedacht: Sie stellen die Leute morgens auf die Strasse. Das wollen wir gerade Frauen und Kindern nicht zumuten - erst recht nicht im Winter.
Das ist ja gerade das Kalkül der bürgerlichen Nationalrats-Mehrheit: Wenn das Asylverfahren dermassen unattraktiv wird, schreckt das die Wirtschaftsflüchtlinge ab.
Wie gesagt: Daran glaube ich nicht. Aber die Folgen für die Städte werden in jedem Fall verheerend sein. Fehlen den Asylbewerbern die Tagesstrukturen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als auf Bänken im Stadtzentrum rumzuhängen. Das ergibt eine negative Dynamik. Ausserdem ist es extrem schwierig, mit acht bis maximal zwölf Franken täglich drei Mahlzeiten zu finanzieren. In einer Stadt wie Basel gibt es wenigstens noch Institutionen für Minderbemittelte wie Suppenküchen. Aber wie sieht das in ländlichen Gegenden aus?
Befürchten Sie also, dass die Asylbewerber in die Illegalität abtauchen und schwarz arbeiten?
Das nicht unbedingt. Wer auf einen Asylentscheid wartet, wird das auch mit noch weniger Unterstützung tun. Die Sozialhilfe, die sie heute bekommen, ist ja nicht so viel höher. Vielleicht steigt die Kleinkriminalität ein bisschen, weil das Geld nicht mal für ein Päckchen Zigaretten reicht. Das viel grössere Problem ist die fehlende Beschäftigung. Heuten können wir Deutschkurse und andere Programme anbieten. Deshalb ist es nur eine sehr kleine Gruppe von alleinstehenden jungen Männern, die uns mit ihrem Verhalten in der Öffentlichkeit Sorgen bereiten. Es besteht die Gefahr, dass diese Gruppe bald grösser wird.
Wenigstens können Sie pöbelnde Asylbewerber künftig in gesonderte Zentren abschieben, wie das der Nationalrat entschieden hat.
Diese Neuerung begrüsse ich. Es ist gut, wenn die wenigen jungen Männer, die sich trotz Mahnungen weiterhin daneben benehmen, von der Strasse wegkommen. Es geht da einerseits um den Schutz der hiesigen Bevölkerung. Andererseits aber auch darum, dass der Ruf der sich korrekt verhaltenden Asylbewerber nicht beschädigt wird. Sonst bricht die Akzeptanz der Bürger für die Aufnahme von Flüchtlingen weg.
Der Bund darf nach dem Willen des Nationalrats Militäranlagen für ein Jahr als Asylunterkünfte verwenden, ohne dass Gemeinden und Kantone ein Veto einlegen können. Fühlen Sie sich bevormundet?
Wir haben auf unserem kleinen Kantonsgebiet sowieso keine Militäranlagen (lacht). Ich finde es aber grundsätzlich richtig, dass die Standortgemeinden gezwungen werden können, Asylbewerber aufzunehmen. Man kann nicht immer sagen: Die anderen sollens machen. Unsere Stadt übernimmt mit dem Empfangszentrum ihren Teil. Und wir stellen dem Bund seit über einem Jahr schon eine zusätzliche Zivilschutzanlage mit 90 Plätzen freiwillig zur Verfügung.
Trotz Zustimmung zu einigen Neuerungen: Ihre Kritik deckt sich weitgehend mit jener Ihrer SP-Parteikollegen im Nationalrat. Argumentieren Sie hier als Linker - oder als Kantonsvertreter?
In diesem Fall ist das deckungsgleich. In Basel kann aus praktischen Gründen niemand ein Interesse haben, dass die Revision in dieser Form in Kraft gesetzt wird. Als Linker schliesse ich mich der grundsätzlichen Kritik von Bundesrätin Sommaruga an: Die Unterstützung für die Asylbewerber auf Nothilfe-Niveau zu reduzieren, ist weder unserem Wohlstand angemessen, noch entspricht es der humanitären Tradition der Schweiz.
Nun müssen Sie darauf hoffen, dass der Ständerat die Vorlage wieder im Sinne der Kantone abändert.
Ja. Selbst Befürworter von Verschärfungen im Ständerat werden einsehen müssen, dass eine Verlagerung der finanziellen Last vom Bund zu den Kantonen nicht in Frage kommt. Die kantonalen Sozialdirektoren treffen sich Ende Monat zur Jahreskonferenz. Ich gehe davon aus, dass wir dann entscheiden werden, geeint gegen die Asylrevision anzutreten. Wir werden versuchen, auch unsere Standesvertreter von der ablehnenden Haltung zu überzeugen.