«Gemeinheiten musste ich mir gefallen lassen»

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Johann Schneider-Ammann«Gemeinheiten musste ich mir gefallen lassen»

Wegen des Kahlschlags bei den Jobs bekommt Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann regelmässig Prügel. In einem Interview redet er sich den Frust von der Seele.

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«Solange ich eine Arbeitslosigkeit von drei Prozent mitverantworten muss, die weit tiefer ist als überall ringsherum, kann man titeln, was man will.» Bundesrat Schneider-Ammann kontert seine Kritiker.

«Solange ich eine Arbeitslosigkeit von drei Prozent mitverantworten muss, die weit tiefer ist als überall ringsherum, kann man titeln, was man will.» Bundesrat Schneider-Ammann kontert seine Kritiker.

Kein Anbieter/Screenshot SRF

Kaum ein Bundesrat muss mehr einstecken als Johann Schneider-Ammann: Bei «Giacobbo/Müller» wird er regelmässig vorgeführt. Und der «Tages-Anzeiger» überschrieb eine Bilanz seiner bisherige Amtszeit mit dem vernichtenden Satz: «Das Ende naht, und niemand weint.»

Auch nach dem Job-Kahlschlag bei der Alstom ist Bundesrat Johann Schneider-Ammann einmal mehr der Prügelknabe: Der «Blick» schrieb von «Leider-Ammann», nachdem der 65-Jährige ein «gewisses Verständnis» für den Abbau von 1300 Stellen beim Industriekonzern gezeigt hatte. Die neue Ausgabe der «Weltwoche» zeigt Schneider-Ammann als gebrochenen Mann in gebückter Haltung unter den Lettern: «Absturz. Wohin treibt die Weltwirtschaft?»

«Man kann titeln, was man will»

In einem Interview mit der SRF-«Rundschau» antwortet der Bundesrat seinen Kritikern nun mit ungewohnt deutlichen Worten: «Gemeinheiten musste ich mir ab und zu gefallen lassen. Das gehört offenbar dazu.» Seit Jahr und Tag kämpfe er aus tiefster Überzeugung eines Industriellen für Jobs in diesem Land. «Solange ich eine Arbeitslosigkeit von drei Prozent mitverantworten muss, die weit tiefer ist als überall ringsherum, kann man titeln, was man will.»

Auch mit der Frage, ob er den Rollenwechsel vom Patron zum Bundesrat nie vollzogen habe, trifft Moderatorin Susanne Wille offenbar einen wunden Punkt: «Das wollen Sie ja hören. Ihr wollt mir diese Rolle seit mittlerweile fünf Jahren zudenken.» Er lasse sich davon nicht mehr irritieren. «Ich bin ein Unternehmer, ich bleibe ein Unternehmer und es tut der Politik bisweilen gut, wenn ein Unternehmer seine Stimme erhebt.» Auch wenn es bisweilen mühsam sei, Rahmenbedingungen einzufordern, die es möglich machten, dass man in der Schweiz industriell tätig bleiben könne.

«Schneider-Ammann kämpft für die Industrie»

In für Berner Verhältnisse fast rasendem Tempo lässt der Magistrat eine Tirade gegen die Bürokratie im Lande folgen: Es sei an der Zeit für den Einheitssatz bei der Mehrwertsteuer, welcher die KMU massiv entlasten würde. Dies predige er seit fünf Jahren, und seit fünf Jahren werde er belächelt und zurückgeschickt. «Aber es ist jetzt der Moment gekommen, in dem das Land sich ernsthaft zu deindustrialisieren beginnt.»

Diese Entwicklung bedauert Schneider-Amman. Jede einzelne Entlassung schmerze ihn. Den Vorwurf, er tue zu wenig, lässt er aber nicht gelten. «Die Insider wissen, dass Schneider-Ammann seit 30 Jahren für die Industrie kämpft. Ich brauche den Applaus nicht. Meine Botschaft kommt schon rüber, sie ist vielleicht einfach nicht so sichtbar», sagt er schon zu Beginn des Gesprächs.

Auch im Interview mit 20 Minuten hat sich Schneider-Ammann bereits zur Dauerkritik an seiner Person geäussert. «Ich halte mich da ans Ergebnis des Parlaments, das mich sehr gut wiedergewählt hat und damit meine Leistung anerkennt.» Er glaube, dass er seinen Beitrag erfolgreich leiste, damit fast alle in unserem Land einen Job und damit eine Perspektive hätten. Das zähle letztlich. Und «Giacobbo/Müller» sehe er sich schon gar nicht an.

Das ganze Interview können Sie hier anschauen.

«Er ist nicht mehr der Gleiche»

Lob für seinen Auftritt bekommt Johann Schneider-Ammann von Kommunikationsexperte Marcus Knill: «Ich habe festgestellt, dass er in letzter Zeit rhetorisch gewaltige Fortschritte gemacht hat.» Die Sätze seien kürzer und prägnanter als in der Vergangenheit und damit auch verständlicher. «Er hat gelernt, dass eine Rede keine Schreibe ist. Er ist nicht mehr der Gleiche.» Nun scheine er zu merken, dass er besser ankomme, weshalb er lockerer wirke. «Damit kommen auch Emotionen ins Spiel wie im TV-Auftritt.»

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