«Hier ruht die direkte Demokratie der Schweiz»

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Umsetzung der MEI«Hier ruht die direkte Demokratie der Schweiz»

Rechte Politiker sehen den Volkswillen vom Parlament nicht umgesetzt. Fühlten sich Bürger nicht ernst genommen, untergrabe das den Nutzen der direkten Demokratie, sagt ein Experte.

D. Pomper
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D. Pomper
Das Fazit nach der gestrigen Monsterdebatte über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative von seiten der SVP war klar. «Hier wird die direkte Demokratie beerdigt», sagte Nationalrat Adrian Amstutz. Auf Twitter kursiert inzwischen das Bild eines Grabsteins im Mondschein mit der Aufschrift: «Hier ruht die direkte Demokratie der Schweiz - 1291 bis 2016.»
Lange Gesichter bei der SVP. Gregor Rutz (ganz links) sagte: «Ich verstehe all jene Leute, die nach der heutigen Debatte sagen: Wofür gehe ich noch abstimmen?»
Lorenz Langer vom Zentrum für Demokratie Aarau stellt fest: «Wenn der Bürger das Gefühl hat, es nütze nichts, an die Urne zu gehen, weil der Volksentscheid vom Parlament nicht umgesetzt wird, dann untergräbt das den Nutzen der direkten Demokratie.» Sie könne dann nicht mehr als Ventil für die Stimmbürger dienen. «Man muss aufpassen, dass dies nicht zu Frustrationen führt», sagt Langer.
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Das Fazit nach der gestrigen Monsterdebatte über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative von seiten der SVP war klar. «Hier wird die direkte Demokratie beerdigt», sagte Nationalrat Adrian Amstutz. Auf Twitter kursiert inzwischen das Bild eines Grabsteins im Mondschein mit der Aufschrift: «Hier ruht die direkte Demokratie der Schweiz - 1291 bis 2016.»

Das Fazit nach der gestrigen Monsterdebatte über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative von Seiten der SVP war klar. «Das ist Volksverrat. Das Volk hat klar eine Reduktion der Zuwanderung gewollt, das will man nicht umsetzen», sagte Nationalrat Felix Müri. Gregor Rutz erklärte: «Ich verstehe all jene Leute, die nach der heutigen Debatte sagen: ‹Wofür gehe ich noch abstimmen?›» Und Adrian Amstutz stellte fest: «Hier wird die direkte Demokratie beerdigt.» Auf Twitter kursiert inzwischen ein Bild eines Grabsteins im Mondschein mit der Aufschrift: «Hier ruht die direkte Demokratie der Schweiz – 1291 bis 2016». Passanten zeigen sich bei einer 20-Minuten-Strassenumfrage enttäuscht und hintergangen.

Lorenz Langer vom Zentrum für Demokratie Aarau stellt fest: «Wenn der Bürger das Gefühl hat, es nütze nichts, an die Urne zu gehen, weil der Volksentscheid vom Parlament nicht umgesetzt wird, dann untergräbt das den Nutzen der direkten Demokratie.» Sie könne dann nicht mehr als Ventil für die Stimmbürger dienen. «Man muss aufpassen, dass dies nicht zu Frustrationen führt», sagt Langer.

Gehen die Stimmbürger noch an die Urne?

Dass die Glaubwürdigkeit der direkten Demokratie unter dem Entscheid leidet, glaubt Langer indes nicht: «Die Bevölkerung tendiert dazu, die Wirkung des direktdemokratischen Instruments zu idealisieren.» Es sei nicht realistisch, dass das Volk alles bestimmen könne. Dafür brauche es auch das demokratisch legitimierte Parlament.

Langer bezweifelt, dass der frustrierte Stimmbürger in Zukunft nicht mehr an die Urne gehen wird. Schon in der Vergangenheit seien verschiedene Volksinitiativen nicht eins zu eins oder erst verspätet umgesetzt worden. Etwa die Mutterschaftsversicherung, der Alpenschutz- oder die Zweitwohnungsinitiative. Dennoch sei die Wahlbeteiligung konstant geblieben.

«Stimmbürger gehen von lascher Umsetzung aus»

Auch Politologe Thomas Milic glaubt nicht, dass die Bevölkerung nun frustriert den Stimmurnen fernbleibt. Er glaubt aber, dass der Stimmbürger mittlerweile bereits im Vorfeld von Initiativabstimmungen davon ausgehe, dass das Parlament diese lasch umsetzen wird. Schon seit der weichen Umsetzung der Verwahrungsinitiative im Jahr 2004 beobachtet Milic, dass die Stimmbürger stärker dazu tendieren, radikalen Initiativen, mit denen sie gar nicht wirklich einverstanden sind, zuzustimmen, «weil sie davon ausgehen, dass sie dann ja sowieso vom Parlament abgeschliffen werden».

Milic nimmt die Parlamentarier in die Verantwortung: «Die beklagen sich wortreich über die Stimmbürger, die einfach ‹nur ein Zeichen› setzen wollen. Indem man aber Initiativen lasch umsetzt, provoziert man genau dieses Verhalten.» Wolle man erreichen, dass sich der Stimmbürger auf den Inhalt der Vorlage konzentriere, dann müsse man diese Inhalte auch möglichst wortgetreu umsetzen.

Entsprechend dürfte die SVP gar nicht so unglücklich sein über den Nationalratsentscheid, glaubt Milic: «Der Unmut in gewissen Teilen der Bevölkerung dürfte der Selbstbestimmungsinitiative («Schweizer Recht statt fremde Richter») der Partei Aufwind verleihen.»

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