«Ich sage nicht, die EU wird Bilaterale kündigen»

Aktualisiert

Michael Matthiessen«Ich sage nicht, die EU wird Bilaterale kündigen»

Der neue EU-Botschafter äusserte sich erstmals zur Zuwanderungsinitiative. Die Vorschläge des National- und Ständerats gingen «in die richtige Richtung».

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Michael Matthiessen, seit September neuer EU-Botschafter in der Schweiz, hat seit seinem Amtsantritt viel zu tun:  «Wenn ich etwas müde wirke, liegt dass daran, dass wir derzeit sehr beschäftigt sind, mit der Schweiz eine Lösung zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative zu finden», sagte der Däne am Donnerstag in einem Vortrag.
Am Donnerstag äusserte sich Matthiessen bei einem Vortrag erstmals zu den aktuellen Spannungen zwischen der Schweiz und der EU nach der Annahme der Zuwanderungsinitiative. «Die Schweiz ist Initiativweltmeister», erklärte Matthiessen, und wies darauf hin, dass etwa die Hälfte aller weltweit abgehaltenen Volksentscheide in der Schweiz stattfinden. «Aber die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative 2014 hat natürlich zu grossen Problemen auf beiden Seiten geführt.
Dass das Schweizer Parlament jetzt mit eigenen Vorschlägen zur Umsetzung der Zuwanderungsinitiative aufwartet, begrüsst Matthiessen. «Wir sind erstaunt über die Dynamik des Schweizer Politsystems.» Trotzdem warnt er er gegenüber 20 Minuten vor einer wortgetreuen Umsetzung: «Ich sage nicht, dass die EU die Bilateralen kündigen wird - aber wer den Vertrag liest, sieht, dass dies eine mögliche Konsequenz ist.»
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Michael Matthiessen, seit September neuer EU-Botschafter in der Schweiz, hat seit seinem Amtsantritt viel zu tun: «Wenn ich etwas müde wirke, liegt dass daran, dass wir derzeit sehr beschäftigt sind, mit der Schweiz eine Lösung zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative zu finden», sagte der Däne am Donnerstag in einem Vortrag.

ZHAW School of Management and Law

Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt am Donnerstag an der ZHAW in Winterthur betonte der neue EU-Botschafter in der Schweiz, Michael Matthiessen (60), dass er seinen neuen Job in Bern nicht als letzte Station für ein gemütliches Ausklingen seiner diplomatischen Karriere sieht.

«In den letzten zehn Wochen habe ich einen Crashkurs in Schweizer Politik erhalten, und wenn ich etwas müde wirke, liegt das daran, dass wir derzeit sehr beschäftigt sind, mit der Schweiz eine Lösung zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) zu finden.»

Für Skiferien in den Walliser Bergen in Verbier, für die Matthiessen schon vor seinem Amtsantritt im September regelmässig in die Schweiz reiste, dürfte daher dem 60-Jährigen Dänen kaum noch Zeit bleiben.

«Die Schweiz ist Initiativenweltmeister»

In seinem Vortrag mit dem Titel «Unsicherheiten in der Beziehung Schweiz-EU» kam er dann auch rasch auf die politische Krise, die es derzeit zwischen der Schweiz und Europa gibt, zu sprechen: «Die Schweiz ist Initiativenweltmeister», erklärte Matthiessen und wies darauf hin, dass etwa die Hälfte aller weltweit abgehaltenen Volksentscheide in der Schweiz stattfinden.

«Aber die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative hat natürlich zu grossen Problemen auf beiden Seiten geführt.» Die EU habe grossen Respekt vor dem direktdemokratischen Schweizer Entscheid, aber Kontingente und Höchstzahlen zur Steuerung der Zuwanderung stellten einen Bruch mit der Personenfreizügigkeit dar, sagte Matthiessen.

EU zeigt sich erstaunt über die «Dynamik des Schweizer Politsystems»

Und weil die Personenfreizügigkeit durch die Guillotine-Klausel mit den Bilateralen gekoppelt sei, drohe deren Aufkündigung, was weder im Interesse der Schweiz noch der EU sein könne. Eine Neuverhandlung der Bilateralen ist auf Seiten der EU laut Matthiessen nicht möglich.

Auf Nachfrage von 20 Minuten erklärte der Botschafter diplomatisch: «Ich sage nicht, dass die EU die Bilateralen kündigen wird – aber wer den Vertrag liest, sieht, dass dies eine mögliche Konsequenz ist.»

Dass das Schweizer Parlament jetzt mit eigenen Vorschlägen zur Umsetzung der Zuwanderungsinitiative aufwartet, begrüsst Matthiessen. «Wir sind erstaunt über die Dynamik des Schweizer Politsystems.» Der Vorschlag des Bundesrats im Frühling, eine einseitige Schutzklausel einzuführen, sei noch sehr weit von der EU-Position entfernt gewesen.

MEI-Umsetzung: «Dinge gehen in die richtige Richtung»

«Die letzten Vorschläge aus dem National- oder Ständerat gehen eher in die Richtung, wie wir uns eine Lösung vorstellen», erklärt Matthiessen. Schliesslich mische sich die EU aber nicht in Schweizer Belange ein, und die Schweiz müsse selbst entscheiden. «Wir werden die Debatte im Ständerat genau beobachten. Was ich sagen kann: Die Dinge gehen in die richtige Richtung.»

Über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative feilscht derzeit das Parlament. Die Lösung des Nationalrats sieht vor, die Zuwanderung mit einem «Inländervorrang light» zu bremsen. Dabei müssten Arbeitgeber offene Stellen den Regionalen Arbeitsvermittlungen melden. Eine Pflicht zur Anstellung von Inländern bestände jedoch nicht.

Die Mehrheit der zuständigen Ständeratskommission möchte die Stellenmeldepflicht noch verschärfen. Demnach müssten die Arbeitgeber eine bestimmte Anzahl geeigneter inländischer Bewerber zum Vorstellungsgespräch einladen. Falls trotzdem ein ausländischer Bewerber das Rennen macht, muss die Firma ihre Wahl schriftlich begründen. Der Ständerat behandelt den Entwurf ihrer Kommission in der Wintersession ab Ende November.

Der Krisenerprobte

Mit politischen Krisen ist der Däne Michael Matthiessen bestens vertraut, er erlebte eine ähnlich angespannte Situation, wie sie derzeit zwischen der EU und der Schweiz seit der Annahme der Zuwanderungsinitiative herrscht, 1992 in Dänemark am eigenen Leib: Matthiessen musste als Pressesprecher der dänischen Regierung damals in Brüssel erklären, warum sich eine knappe Mehrheit der Dänen gegen die tiefergehende europäische Integration aussprach und den Maastrichter Vertrag ablehnte. Bevor er diesen September seine Stelle als EU-Botschafter in der Schweiz antrat, arbeitete er in verschiedenen Posten im Dienste Brüssels, zuletzt als EU-Chefberater für Asien.

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