«Im Gefängnis in der Schweiz ist es schön»

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Kriminalität«Im Gefängnis in der Schweiz ist es schön»

Viele Afrikaner in der Schweiz werden kriminell – laut Experte Amor Ben Hamida aus Perspektivlosigkeit und wegen guter Haftbedingungen.

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Besonders häufig wegen eines Verstosses gegen das Strafgesetzbuch verurteilt wurden Personen aus dem Südwestafrika. Jeder dreissigste Einwanderer aus dieser Region mit Ausweis B oder C kassierte 2014 ein rechtskräftiges Urteil.
Dahinter liegen die Einwanderer aus Westafrika, der Dominikanischen Republik und Nordafrika.
Bei den Schweizerinnen und Schweizern kassierte etwas mehr als jeder Vierhundertste ein rechtskräftiges Urteil gemäss Strafgesetzbuch.
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Besonders häufig wegen eines Verstosses gegen das Strafgesetzbuch verurteilt wurden Personen aus dem Südwestafrika. Jeder dreissigste Einwanderer aus dieser Region mit Ausweis B oder C kassierte 2014 ein rechtskräftiges Urteil.

Keystone/Gaetan Bally

Herr Hamida, überdurchschnittlich viele Einwanderer aus Afrika werden hier kriminell. Überrascht Sie das?

Nein, das erlebe ich in meiner Arbeit ebenfalls so. Andere Einwanderergruppen sind ja auch krimineller als die Schweizer. Die Gründe sind oft dieselben.

Wieso werden Afrikaner denn so häufig kriminell?

Das fängt eigentlich mit dem Leben im Herkunftsland an. Dort sind sie sich oft Kriminalität und Korruption gewöhnt und sind dadurch abgehärtet. Dann flüchten sie in die Schweiz. Oft erleben sie während der Flucht noch einmal lebensbedrohliche Situationen. Da ist man schneller bereit, auch mal die Gesetze zu brechen. Meist sind es ja junge Männer. Die wissen, dass es nicht okay ist, was sie tun. In vielen Ländern Afrikas gilt das Recht des Stärkeren, sie sind so aufgewachsen.

Was passiert dann mit ihnen in der Schweiz?

Hier kommt noch die Frustration hinzu. Die Eltern der jungen Männer haben oft für deren Überfahrt bezahlt, die Mutter verkaufte ihren Schmuck, der Vater arbeitet die Schulden ab. Der Sohn soll dann hier Geld verdienen, doch als Asylbewerber dauert es lange, bis man arbeiten kann, und auch mit B- und C-Ausweis findet man nur schwer einen Job. Da suchen sie sich eine einfachere Möglichkeit, an Geld zu kommen, und fangen an zu klauen. Oft denken die Afrikaner, hier wachse das Geld auf den Bäumen. Wenn sie hierherkommen, bringen sie einen riesigen Sack an Hoffnungen mit, der dann schnell zerplatzt. Stattdessen müssen sie fern von Familie und Freunden ums Überleben kämpfen.

Will man da nicht lieber wieder zurück nach Hause?

Doch, aber sie trauen sich nicht. Wer zurückkehrt, ist der Versager, der es im Paradies Schweiz nicht geschafft hat. Sie würden ihr Gesicht verlieren und wären in ihrer Gemeinschaft geächtet.

Was tun sie stattdessen?

Ihren Frust ertränken sie hier in Alkohol, besonders die Muslime aus Nordafrika haben wenig Erfahrung damit. Da kann es schnell vorkommen, dass die jungen Männer aggressiv werden oder Frauen belästigen. Wer keinen Job und kein familiäres Umfeld hat, der hat in der Schweiz nicht viel zu verlieren. Auch die Gefängnisstrafen schrecken oft nicht ab.

Was heisst das?

Ich habe schon oft von jungen Tunesiern gehört: «Im Gefängnis in der Schweiz ist es schön, ich kann dort duschen, essen und Sport treiben.» In Tunesien sind die Gefängnisse viel schlimmer, und dort kommt man schon für ein bisschen Hasch ein Jahr hinter Gitter. Das Schweizer Strafrecht ist hier milder, und schreckt nur Leute ab, die einen Job und eine Familie zu verlieren haben.

Es gibt Menschen, die glauben, Afrikaner seien von Natur aus krimineller ...

Nein, wenn ein Afrikaner unter den gleichen Bedingungen wie ein Schweizer aufwächst, dann wird er auch nicht krimineller als ein Schweizer. Und wenn ein Schweizer in Marokko aufwachsen würde, dann wäre er ebenso kriminell. Ich kenne Tunesier in der Schweiz, die eine 100-Franken-Note bei der Polizei abgeben würden. Aber die haben einen Job und eine Familie.

Wie löst man nun das Problem?

Das ist schwierig. Doch viele Afrikaner, die hierherkommen, haben keine Ahnung von den Regeln in der Schweiz. Integration vom ersten Tag an ist hier das Stichwort. Asylbewerber in Deutschland erhalten einen Flyer, auf dem steht, dass sie Frauen nicht betatschen dürfen. Das ist vielleicht etwas übertrieben, geht aber in die richtige Richtung. Wir müssen mit den absoluten Basics anfangen und verhindern, dass die Afrikaner in soziale Isolation und Arbeitslosigkeit abdriften.

Amor Ben Hamida ist Schriftsteller und Integrationsexperte.

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