Reportage Teil 3«Jeder, der ein Bett will, kriegt eins»
Kein Flüchtling müsse am Bahnhof schlafen, wenn er nicht wolle, sagt Gabriella Polifroni, Pressesprecherin der Stadt Mailand. In Mailand habe es genügend Betten für alle.
![20 Minuten hat etliche Flüchtlinge getroffen, die am Bahnhof Mailand leben und schlafen. Die Flüchtlingssituation in Mailand sei aber nicht ausser Kontrolle, meint die Pressesprecherin der Stadt. «Wenn jemand einen Platz will, dann kriegt er einen» 20 Minuten hat etliche Flüchtlinge getroffen, die am Bahnhof Mailand leben und schlafen. Die Flüchtlingssituation in Mailand sei aber nicht ausser Kontrolle, meint die Pressesprecherin der Stadt. «Wenn jemand einen Platz will, dann kriegt er einen»](https://media.20min.ch/6/image/2023/12/21/e16c619e-54d0-4e1d-b1c5-481a8e827e25.jpeg?auto=format%2Ccompress%2Cenhance&fit=max&w=1200&h=1200&rect=0%2C0%2C600%2C400&fp-x=0.5&fp-y=0.5&s=1225f92ee979d1ab77cfd0cfa71a6049)
20 Minuten hat etliche Flüchtlinge getroffen, die am Bahnhof Mailand leben und schlafen. Die Flüchtlingssituation in Mailand sei aber nicht ausser Kontrolle, meint die Pressesprecherin der Stadt. «Wenn jemand einen Platz will, dann kriegt er einen»
Frau Polifroni, am Bahnhof Mailand leben hunderte Flüchtlinge. Hat Mailand die Flüchtlingssituation nicht im Griff
Gabriella Polifroni: Das heutige Unterbringungssystem in Italien kann dem aktuellen Flüchtlingsstrom nicht genügend standhalten, das ist unbestritten. Das Land hat nicht genügend Unterkunftsplätze für alle Asylsuchenden. Was aber die Stadt Mailand betrifft, sind wir der Überzeugung, dass das Angebot der Schlafplätze genügend gross ist, um die Bedürfnisse der hiesigen Asylsuchenden zu decken.
Trotzdem: Viele Flüchtlinge landen auf der Strasse und schlafen am Bahnhof.
Im Hauptbahnhof befinden sich all jene Menschen, die es aus irgend einem Grund nicht geschafft haben, die Angebote des Asylzentrums und der Stadt ausreichend zu nützen. Aber wir haben keine obdachlosen Flüchtlinge am Bahnhof. Jeder, der einen Schlafplatz will, kriegt einen. Gerade jetzt im Winter organisiert die Stadt verschiedene Hilfsaktionen. So bieten wir von November bis März zusätzlich 2700 Betten an. Verschiedene Notfall-Autos fahren durch die Stadt um Obdachlose aufzupicken, die kein Bett gefunden haben oder nicht wissen, an wen sie sich wenden müssen. Zudem haben wir einen Notschalter am Hauptbahnhof, der täglich bis Mitternacht geöffnet ist. Wenn Flüchtlinge einen Platz für die Nacht haben wollen, dann kriegen sei einen.
20 Minuten hat den Asylsuchende Abdoul getroffen, der im Bahnhof schläft. Sein erstes Asylgesuch wurde abgewiesen, nun befindet er sich im Rekursverfahren. Warum kriegt er keinen Platz in einem Asylzentrum?
Es ist möglich, dass Abdouls Vertrag im Zentrum bereits abgelaufen ist, sei es in Mailand oder in einer anderen Stadt. Asylsuchende dürfen bis zu sechs Monate in staatlichen Zentren bleiben. In dieser Zeit erhalten sie Nahrung, Unterkunft, etwas Taschengeld und können von Sprachkursen und anderen Integrationsmassnahmen profitieren. Nach Ablauf der sechs Monate müssen sie das Zentrum verlassen und selber für ihren Lebensunterhalt sorgen. Besonders verletzliche Personen, wie etwa körperlich oder psychisch beeinträchtigte Menschen oder Familien mit Kindern können einer Unterkunftsverlängerung von drei bis sechs Monaten beantragen.
Auch Nassi muss am Bahnhof schlafen. Er hat die Aufenthaltsbewilligung erhalten und wurde dann im Zentrum vor die Tür gesetzt. Warum?
Sobald ein Flüchtling eine Aufenthaltsbewilligung erhält, muss er das Zentrum verlassen. Als anerkannte Flüchtlinge haben die Menschen eine Arbeitsbewilligung. Dann können sie sich einen Job suchen und müssen selber für ihre Unterkunft oder ihren Lebensunterhalt sorgen. Wenn sie ein Bett für die Nacht brauchen, dann kriegen sie eines. Platz haben wir genug. Aber wir können niemanden zwingen in ein Haus zu kommen, wenn sie nicht wollen.
Erhalten die Menschen also keine Unterstützung mehr, sobald sie aus dem Zentrum sind?
Viele Männer und Frauen finden eigenständig andere Unterkünfte, die sie mit anderen Personen teilen. In manchen Fällen kommt es auch vor, dass die Menschen in andere Städte weiterreisen und dort ihr Glück versuchen. Es kommt häufig vor, dass Leute in unsere Zentren zurückkehren wollen, wenn sie erneut in Not sind. Insbesondere in den letzten Jahren, im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Krise und hoher Arbeitslosigkeit in Italien. Nach Möglichkeit werden diese Leute in Begleitprogramme integriert, die ihnen helfen sollen, einen Job und eine Bleibe zu finden. Von den Betroffenen wird dann aber erwartet, dass sie aktiv Einsatz zeigen.
Es ist nicht abzusehen, dass der aktuelle Flüchtlingsstrom in der nächsten Zeit abreissen sollte. Wie wollen Sie das bewältigen
Die Stadt Mailand stellt sich jeder Notsituation – egal wann, egal wie.
Flüchtlings-Reportage Mailand
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte Anfang November entschieden, dass die Schweiz eine achtköpfige afghanische Flüchtlings-Familie nicht ins Erstland Italien zurückschicken darf, solange Italien der Familie keine geeignete und Unterbringung garantiere könne, wo die Kinder keinen Schaden nähmen. Mittlwerweile haben Schweiz und Italien diesbezüglich eine Einigung erzielt. Dennoch: Das UNO-Flüchtlingshilfswerk und verschiedene NGOs beschreiben die Asylunterkünfte in Italien teilweise als Zumutung, vor allem für Familien. Unter welchen Umständen leben Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien? 20 Minuten ist für zwei Tage nach Mailand gereist.
Teil 1: «Wir wollen weiter nach Norwegen»
Teil 2: «So oft es geht schlafen wir im Zug»
Teil 3: «Jeder der ein Bett will, kriegt eins»