Experten sagen«Junge Menschen werden heute später erwachsen»
Laut britischen Forschern sind junge Menschen mit 18 noch lange nicht erwachsen. Ihre Schweizer Kollegen geben ihnen recht - und sprechen sogar von einer neuen Lebensphase.

Die Zeit bis zum Erwachsenenalter dauert immer länger, sagen Experten. (Symbolbild)
Achtzehnjährigen fehle es an emotionaler Reife und sie bräuchten über die Volljährigkeit hinaus beträchtliche Unterstützung, sagt die britische Kinderpsychologin Laverne Antrobus in einem Artikel der BBC. Der Soziologe Frank Furedi spricht darin sogar von einer Kultur der «Verkindlichung», die sich an der zunehmenden Beliebtheit von Kindersendungen und Trickfilmen zeige. Die Jugendzeit erstrecke sich in der heutigen Generation bis Mitte oder gar Ende Zwanzig.
«Menschen werden heute später erwachsen als in früheren Generationen», bestätigt der Schweizer Soziologe François Höpflinger, der sich intensiv mit der Generationenforschung beschäftigt. Dies zeige sich beispielsweise an der immer späteren Familiengründung: 1970 lag das Durchschnittsalter verheirateter Frauen in der Schweiz bei der Erstgeburt bei rund 25 Jahren, 2012 bei 31 Jahren.
Immer mehr Nesthocker
Auch der Auszug aus dem Elternhaus verschiebe sich stetig nach hinten, sagt Höpflinger, um zwei bis drei Jahre zwischen 1970 und 2000. «Mehr Menschen machen heute eine tertiäre Ausbildung und die Ausbildungswege haben sich tendenziell verlängert.» So seien heute Viele auch nach der Volljährigkeit finanziell abhängig von den Eltern. Eine eigene Wohnung lasse sich dann nur mit Nebenjobs oder in vermögenden Familien finanzieren. «Zudem nehmen Zwischenjahre mit ausgedehnten Reisen oder Sprachaufenthalten zu», sagt der Soziologe. Diese dienten vornehmlich der Selbstverwirklichung.
Grund für das längere Zusammenleben mit den Eltern seien aber nicht nur wirtschaftlicher Natur, meint Höpflinger. «Das Verhältnis von Eltern und Kindern hat sich verändert.» Heute hätten junge Erwachsene im Elternhaus oft ähnliche Freiheiten wie in einem eigenen Haushalt - und entsprechend weniger Antrieb auszuziehen.
Neue Lebensphase
Neben der späteren Familiengründung, den längeren Ausbildungszeiten und einem veränderten Eltern-Kind-Verhältnis spricht Höpflinger auch von einem jugendorientierten Freizeitverhalten. «Das Besuchen von Parties, die Zugehörigkeit zu einer Szene mitsamt ihren Erkennungsmerkmalen wie Tattoos, Piercings oder entsprechender Kleidung ist schon länger nicht mehr der Jugend vorbehalten.» Für junge Erwachsene bis Ende Dreissig gehöre dieses Verhalten zur Freizeit - gewisse Elemente liessen sich sogar bei über 50-Jährigen finden.
Der Assistenzprofessor für Lebenslauf- und Kompetenzentwicklung im Kindes- und Jugendalter an der Universität Zürich, Peter Titzmann, spricht daher von einer neuen Lebensphase zwischen Jugend und Erwachsensein. Diese «Emerging Adulthood», also die Phase des sich bildendenden Erwachsenseins, sei «eine verlängerte Phase der Identitätsfindung und des Ausprobierens, die Jugendliche früherer Generationen so nicht hatten.»
Verstärkung von Unreife und Machtlosigkeit
Der britische Soziologe Furedi warnt jedoch davor, dass die Wissenschaft mit der Definition eines neuen Lebensabschnitts passives und unreifes Verhalten bei jungen Erwachsenen verstärke und ein Gefühl von Machtlosigkeit fördere. Die Verkindlichung, die Furedi feststellt, führe zu einer Abhängigkeit vom sozialen Umfeld, die sich negativ auf spätere Beziehungen auswirken könne.
Auch der Schweizer Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Basel, Alexander Grob, steht einer Ausweitung des Jugendalters skeptisch gegenüber: «Wenn der Spielraum für das Jugendalter weiter ausgedehnt wird und junge Erwachsene bis Mitte oder Ende Zwanzig wenig Verantwortung übernehmen müssen, fördert man diese Verkindlichung.» Die altersmässige Grenze des Jugendalters bei 18 oder 20 Jahren übe auf die Jugendlichen einen Entwicklungsdruck aus, der sie dazu anhalte, sich den Erwartungen an die Rolle eines Erwachsenen zu stellen. «Diese Entwicklungsaufgaben dürfen junge Menschen nicht erst mit Dreissig in Angriff nehmen», ist Grob überzeugt.
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