Kesb in der Kritik«Kinder werden weinend von der Polizei abgeholt»
Der Bundesrat kommt den Kesb-Kritikern ein Stück entgegen: Das nahe Umfeld von Betroffenen soll künftig besser einbezogen werden.
Natalie K.* erstickte am Neujahrstag 2015 ihre beiden schlafenden Kinder Alessia (2) und Nicolas (5) in der Wohnung. Der «Fall Flaach» löste eine Kontroverse um die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) aus. Kritiker werfen der Kesb vor, dass sie die Kinder von K. in einem Heim unterbringen wollte, obwohl sich die Grosseltern zur Betreuung bereit erklärt hatten. Laut Gutachten spielte dies bei der unfassbaren Tat eine Rolle.
Das geltende Recht sieht vor, bei allfälligen Massnahmen das nahe Umfeld von Betroffenen einzubeziehen. «Aber in der Praxis werden Verwandte nicht immer berücksichtig», sagte Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des Eidgenössischen Polizei- und Justizdepartements (EJPD), an einer Medienkonferenz am Mittwoch. Das EJPD will nun abklären, wie die Kesb Grosseltern und andere nahestehende Personen besser einbeziehen könnte.
«Wahnsinnige Tragödien»
Eine Kesb-Initiative verlangt eine Verbesserung des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts. Bei Kesb-Kritikern kommt der Schritt gut an. «Ich bin extrem froh, dass der Bundesrat diesen Handlungsbedarf erkennt», sagt Barbara Keller-Inhelder, SVP-Nationalrätin und Mitglied des Präsidiums des Initiativ-Komitees. Es solle nicht mehr vom Schreibtisch aus über Familien bestimmt werden.
Praktisch jeden Tag habe sie mit Fällen zu tun, in denen Kinder oder ältere Menschen Familien entrissen würden. «Dabei spielen sich wahnsinnige Tragödien ab.» Die Wünsche von Kindern und Eltern würden einfach übergangen, sagt Keller-Inhelder. «Kinder werden weinend von der Polizei abgeholt und in ein Heim geschickt, obwohl sie sagen, dass sie bei der Mutter oder dem Vater leben wollen.» Bei den Eltern lösten solche Akte «massive Verzweiflung» aus.
Initiative zurückziehen sei kein Thema
Auf Ebene der Bundesgesetzgebung besteht laut dem Bericht des Bundesrats jedoch «nur ein sehr beschränkter Handlungsbedarf». Keller-Inhelder: «Dieser Bericht zeigt leider, wie dringend die Kesb-Initiative ist.»Daher komme nicht infrage, die Initiative zurückzuziehen. Zurzeit befindet sich diese im Stadium der Vorprüfung bei der Bundeskanzlei.
Die SP teilte in einem Communiqué mit, sie begrüsse es, wenn der Bundesrat nahe Verwandte stärker einbeziehen wolle. Im Zentrum der Diskussion um das Kinder- und Erwachsenenschutzrecht müssten immer die Betroffenen stehen. «Vielfach müssen die KESB Eingriffe in persönliche Lebensbereiche mit weitreichenden Konsequenzen vornehmen», sagt SP-Nationalrätin Evi Allemann. Aus Respekt vor den Betroffenen müssten so sensible Entscheide von Fachpersonen, die über die nötigen psychologischen, juristischen und sozialpädagogischen Qualifikationen verfügen, getroffen werden.
Auch in der Kommunikation ihrer Entscheide sieht die SP bei der Kesb Verbesserungspotenzial. «Schaffen sie den Spagat zwischen Bürgernähe und Professionalität, werden die Kesb ihre Akzeptanz in der Bevölkerung verbessern», so Allemann.
*Name der Redaktion bekannt