«Leute mit schicken Autos holten Hilfsgüter»

Aktualisiert

Zürcher Bosnien-Helferin«Leute mit schicken Autos holten Hilfsgüter»

Eine Zürcherin brachte ihr Hilfsmaterial selbst direkt nach Bosnien. In einem Lager des Roten Kreuzes sah sie, wie willkürlich Ware abgegeben wurde. Das SRK distanziert sich davon.

Deborah Onnis
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Deborah Onnis

Mit Einfuhrdokumenten des Bosnischen Roten Kreuzes liess die Zürcherin Mirjam Herms letzte Woche Kleider, Putzmittel, Lebensmittel und Tierfutter ins vom Hochwasser betroffene Gebiet in Bosnien liefern, wo sie das Material dann vor Ort selber verteilen wollte. Die Ware kam mit anderen Gütern in eine Lagerhalle des Bosnischen Roten Kreuzes in der Stadt Sanski Most an. Herms: «Was ich dort sah, machte mich sprachlos.» Menschen in schicken Autos seien vorbeigekommen, hätten sich bedient und seien gleich wieder verschwunden.

Obwohl ihr kurz zuvor vom Fahrer der Lieferung versichert worden war, sie könne ihre Ware in der Halle abholen, verweigerte ihr der lokale Verantwortliche des Roten Kreuzes den Zugang. «Der lokale Verantwortliche des Roten Kreuzes gibt da definitiv den falschen Leuten die Ware ab.» Angeblich habe sich sogar eine Begleiterin des Bürgermeisters an den Gütern bedient. Eine Volontärin sei deshalb in Tränen ausgebrochen. [In einer früheren Version vermutete Herms, es habe sich bei der Begleiterin um die Ehefrau des Bürgermeisters gehandelt. Danach habe sie einen Anruf von diesem erhalten, der dies verneinte. Um wen es sich bei der Begleiterin handelte, bleibt offen. (Anm. d. Red.)]

«Das bosnische Radio warnte vor dem Roten Kreuz»

Herms erfuhr dann von einem anderen kleinen unabhängigen Lager, bei dem die Güter gerecht verteilt würden. «Als wir endlich zu unserer Ware kamen oder besser gesagt zu dem, was noch übriggeblieben war, war uns klar, dass wir das Material in ein anderes Lager bringen mussten», so Herms, die von ihrem Kollegen Mario Sito begleitet wurde, der Bosnisch spricht. Mit einem Kleinwagen brachten sie die Güter in die Stadt Šamac, die stark an den Folgen der Überschwemmung leide. Dort sei der Zusammenhalt der Dorfbewohner sehr stark gewesen. «Es war sehr schön zu sehen, dass sich alle gegenseitig unterstützten; das gibt auch Hoffnung, dass sie eine solch schwierige Situation überstehen werden.»

«Wir trafen auf Helfer, die seit 16 Stunden nichts gegessen hatten, und auf Familien, die laut Hilfsorganisationen eine Woche lang mit zwei Dosen Ravioli auskommen mussten.» Auch andere betroffene Bewohner erzählten Herms, nur teilweise Ware zu erhalten. «Zwei Stunden mit dem Auto entfernt, in der Nachbargemeinde Banja Luka hingegen, wo die Folgen des Unwetters nicht stark zu sehen seien, sagten uns die wenigen Betroffenen, bereits zu viel Material erhalten zu haben.» Die ungerechte und willkürliche Verteilung der Hilfsgüter über das lokale Rote Kreuz ist laut Herms vor Ort bekannt. «Sogar in lokalen Medien wurden die Leute gewarnt, ihre Materialspenden auf keinen Fall zum Roten Kreuz zu bringen. Sie wurden aufgefordert, Materialspenden direkt den Betroffenen zu geben.»

«Zu viele Altkleider in Bosnien»

Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) distanziert sich vom Posten in Sanski Most. «Dort ist das Bosnische Rote Kreuz zuständig, dessen Aktivitäten in Sanski Most wir finanziell nicht unterstützen», so Katharina Schindler, Sprecherin des SRK. Laut der bosnischen Delegierten des Roten Kreuzes gibt es in Sanski Most keine grossen Aufnahmelager der Organisation. Das Bosnische Rote Kreuz nehme aber in verschiedenen Räumlichkeiten importierte Hilfsgüter entgegen. Ihr seien keine Unregelmässigkeiten bekannt, sie werde den Vorwürfen aber nachgehen. In den Medien sei ihres Wissens nichts Negatives über das Rote Kreuz gesagt worden. Das Bosnische Rote Kreuz sei durch die aktuelle Notsituation stark gefordert und konzentriere sich auf die Bedürfnisse der Menschen.

Der offizielle SRK-Notposten ist laut Schindler in der Stadt Tuzla stationiert. Dort kaufe man Hilfsgüter aber vor Ort ein, je nach den Bedürfnissen der Betroffenen. «Ein anderes Vorgehen ist nicht effizient. Die Gefahr besteht, dass die Leute mit Sachen überflutet werden, die sie gar nicht brauchen.» Wenn man auf eigene Faust Güter in Katastrophengebiete bringen wolle, solle man sich deshalb genau erkundigen, wo was überhaupt gebraucht werde. Sonst laufe man Gefahr, auf dem Material sitzen zu bleiben. «Laut unserem Katastrophenexperten vor Ort gibt es beispielsweise in den betroffenen Gebieten in Bosnien derzeit zu viele Altkleider.»

Alle agieren unter dem gleichen Namen

Dass es beim Lager in Sanski Most trotzdem nicht sauber zu- und hergeht, kann aber auch Schindler nicht ganz ausschliessen: «Wenn die Materialmenge übermässig gross ist, kann allerdings eine Versuchung entstehen.» Dennoch fühlt sich das SRK für Aktivitäten seines bosnischen Partners nicht verantwortlich. Ganz kalt wird es das SRK aber nicht lassen, wenn sich die Vorwürfe offiziell bewahrheiten werden. Das Bosnische Rote Kreuz verrichtet seine Arbeit unter dem gleichen Namen und beeinflusst damit das Image der weltweiten Rotkreuz-Bewegung.

Vorwürfe gegenüber Herms' Team

Eine andere freiwillige Helferin, die anonym bleiben möchte, widerspricht den Darstellungen von Herms. Diese Helferin sei selber an besagtem Samstag vor Ort gewesen. Ihrer Darstellung nach seien etliche Missstände durch das Team um Herms selbst verschuldet gewesen, beziehungsweise anders als geschildert abgelaufen. (pwe)

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