Rat von der Swisscom«Man sollte täglich eine Handy-Auszeit nehmen»
Ausgerechnet die Swisscom ruft dazu auf, das Handy weniger intensiv zu nutzen. Michael In Albon, Medienkompetenz-Experte der Telekomfirma, erklärt die Gründe.
Herr In Albon, die Swisscom hat am Freitag am Zürcher HB 30'000 Blumen verteilt. Mit der Botschaft, man solle weniger am Handy hängen. Warum tun Sie das?
Wir wollen die Medienkompetenz fördern und die Bevölkerung für das Thema sensibilisieren. Viele Menschen sind heute stark von der digitalen Welt eingenommen und gefangen – manchmal so sehr, dass sie dem wirklichen Leben keine ungeteilte Aufmerksamkeit mehr schenken und schöne Momente verpassen. Wir wollen den Leuten sagen: ‹Legt euer Handy auch mal weg und nehmt euch Zeit füreinander.›
Die Swisscom verdient Geld damit, dass die Leute surfen und telefonieren. Machen Sie mit dieser Botschaft nicht Ihr Geschäft kaputt?
Nein, im Gegenteil. Die Swisscom hat eine gesellschaftliche Verantwortung. Es ist nicht in unserem Interesse, wenn die Menschen wegen der ständigen Erreichbarkeit, die die digitale Welt ermöglicht, unter Druck geraten und gestresst sind. Wir wollen eine gesunde Informationsgesellschaft.
Die meisten Handynutzer haben heute ein Flatrate-Abo. Wollen Sie mit dieser Aktion dafür sorgen, dass diese Flatrates weniger ausgereizt werden?
(lacht) Nein, diese Überlegung haben wir nicht angestellt.
Sie sind Medienkompetenz-Experte bei der Swisscom. Können Sie sagen, wie viele Swisscom-Kunden handysüchtig sind?
Nein, dazu haben wir keine Zahlen. Doch allein die Tatsache, dass Angebote wie Offline-Hotels und Digital-Detox boomen, zeigt, dass die Gesellschaft ein Problem mit der übermässigen Nutzung von digitalen Angeboten hat und viele Mühe haben, das richtige Mass zu finden.
Wie dramatisch ist die Situation?
Jedenfalls werden die Risiken unterschätzt. Die digitalen Mittel sind ständig verfügbar, und deshalb nutzen wir sie auch ständig. Dabei sollten wir das nicht tun, sondern dafür gewisse Fenster festlegen und uns immer wieder Auszeiten nehmen.
Wie sollen diese Auszeiten aussehen?
Es bringt jedenfalls nichts, einmal drei Tage ohne Handy auf eine Alp zu gehen. Damit kann man sein Verhalten im Alltag nicht ändern. Ich empfehle, sich jeden Tag Handyauszeiten zu nehmen. Denn wer ständig auf den Display oder in sein Mail schaut, ist auch ständig abgelenkt, er arbeitet weniger konzentriert, und die zwischenmenschlichen Beziehungen leiden.
Ich sollte also jeden Tag ein paar handyfreie Stunden haben?
Ja. Ein gutes Mittel dazu ist die Offtime-App, die ein Berliner Start-up mit Unterstützung der Swisscom entwickelt hat. Sie bietet zweierlei: Einerseits erfasst sie, wie intensiv man das Handy nutzt – dann sehen Sie beispielsweise, dass sie 166-mal am Tag auf den Display geschaut haben. Andererseits kann man mit der App Auszeiten definieren, in denen das Smartphone keine Benachrichtigungen und SMS anzeigt und keine Anrufe eingehen. In den letzten zwei Jahren wurde die App über 100'000-mal heruntergeladen.
Ist es nicht paradox, wenn man mit dieser App ein digitales Mittel braucht, um der digitalen Welt zu entfliehen?
Ja, das stimmt. Doch damit dies auch ohne geht, braucht es mehr Medienkompetenz. Und die Menschen müssen vermehrt darauf achten, was für Signale sie mit ihrem Verhalten aussenden. Ein Chef sollte am Sonntag oder nach Feierabend möglichst keine Mails an Angestellte verschicken, das kann zu Stress beim Mitarbeiter führen. Und Eltern müssen sehr darauf achten, wie sie ihre digitalen Geräte in Anwesenheit der Kinder nutzen. Denn diese nehmen sich an ihnen ein Vorbild.
Sollten Eltern Kinder von Handys und Tablets möglichst fernhalten?
Nein, überhaupt nicht, Handys gehören heute dazu und Kinder müssen lernen, sie richtig zu benutzen. Einen Umgang mit Mass zu lernen, ist wichtig. Sie sollten genau darauf achten, dass ihr Kind keine Abhängigkeit entwickelt.
Woran erkennt man das?
Wenn das Kind sich nach der vereinbarten Nutzungszeit nicht vom Tablet lösen kann, partout weitermachen will und es deshalb jedes Mal Streit oder Tränen gibt, dann müssen die Alarmglocken läuten.
Und woran erkenne ich als Erwachsener, ob ich handy- oder internetsüchtig bin?
Die meisten digitalen Angebote funktionieren nach dem Belohnungssystem. Jeder Facebook-Like, den man erhält, löst ein kleines Glücksgefühl aus, bleiben die Likes oder die Antwort auf die Whatsapp-Nachricht aus, spürt man Enttäuschung. Wer feststellt, dass ihm diese Dinge mehr bedeuten als schöne Momente mit den Mitmenschen, der sollte sein Verhalten dringend überdenken.

Michael In Albon ist Medienkompetenz-Experte bei der Swisscom. Verantwortlich ist er bei der Telekomfirma auch für das Projekt «Schulen ans Internet» und den Jugendmedienschutz.