Hemmschwelle sinkt«Notrufe schon bei Schnitt in Finger»
Viele Patienten verstehen Ambulanzen heute als «Bobo-Taxis»: Schon für Fieber, Schnittverletzungen oder gar eingewachsene Nägel wird heute die Ambulanz gerufen. Dies ist teuer und gefährlich.

Bei Bagatellen kann die Krankenkasse den Patienten auffordern, den Einsatz selbst zu bezahlen.
Statt auf Schwerverletzte treffen Rettungssanitäter bei ihren Einsätzen immer häufiger auf Patienten mit harmlosen Schürfungen, Prellungen oder Erkältungen. «Die Hemmschwelle, den Rettungsdienst anzurufen, ist in den letzten Jahren deutlich gesunken. Immer öfter werden wir auch wegen eines Schnitts im Finger oder Fieber aufgeboten. Selbst wegen eingewachsener Nägel wurden wir schon angerufen», sagt Roland Portmann, Sprecher von Schutz und Rettung Zürich. Einige Leute verstünden die Ambulanz als Taxi.
Portmann: «Wenn wir eintreffen, warten sie teilweise mit dem Koffer vor der Haustüre.» Die Disponenten in der Einsatzzentrale versuchten zwar, solche Fahrten zu verhindern oder weiterzuleiten, im Zweifelsfall müsse man aber ausrücken.
In Bern und Basel wird dieser Trend bestätigt. Laut Daniel Baumberger von der Sanitätspolizei Bern ist er vor allem in den Städten verbreitet: «Die Menschen auf dem Land kennen ihren Hausarzt noch persönlich und holen sich dort Hilfe, anstatt die 144 zu wählen.» Toni Oetterli von der Sanität Basel-Stadt warnt zudem: «Einsätze mit Blaulicht gefährden einerseits die Equipe und andererseits andere Verkehrsteilnehmer. Die Betroffenen müssen ausserdem mit einer Rechnung von rund 700 Franken rechnen.»
Bei Bagatellen kann die Krankenkasse verlangen, dass der Patient den Betrag selbst berappen muss. Entgegen dem Trend sprechen einige aber nur von Einzelfällen, wie eine Umfrage zeigt. SVP-Gesundheitspolitiker Toni Bortoluzzi fordert deshalb eine strikte Kostenüberwälzung: «Wenn jemand nicht zwischen einer Bagatelle und einem Notfall unterscheiden kann, muss er den Einsatz selbst bezahlen.»

«Krankenwagen werden unnötig blockiert»
Ernst Gähler*, was ist das Problem, wenn immer mehr Leute den Notarzt rufen?
Prinzipiell ist die Ambulanz nicht dafür gemacht, bei Bagatellfällen auszurücken. Krankenwagen werden unnötig blockiert, während sie an anderen Orten eventuell dringender gebraucht werden.
Woher kommt der Trend?
Es gibt verschiedene Gründe. Viele Leute in der Stadt haben keinen Hausarzt und wenden sich deshalb vermehrt an eine Notfallstelle ob nun an die Notaufnahme im Spital oder eben an die Rettungssanität. Aber auch kulturelle Unterschiede führen dazu, dass zum Beispiel Ausländer eher von solchen Angeboten Gebrauch machen.
Wie kann man das verhindern?
Neben der 144 braucht es zusätzlich eine dreistellige, nationale Notfallnummer, bei der Personen unentgeltlich eine Beratung erhalten und nur in speziellen Fällen zur 144 weitergeleitet werden. In einigen Kantonen existieren zum Beispiel mit dem Ärztefon bereits ähnliche Angebote.
*Ernst Gähler ist Vize-Präsident der Ärzteverbindung FMH.