«Rebellen machten uns zu Sexsklavinnen»

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Kindersoldatin erzählt«Rebellen machten uns zu Sexsklavinnen»

Sie war jahrelang Kindersoldatin - nun hat sie den Bachelor und will, dass alle ihre Geschichte hören. Victoria (33) erzählt von der schlimmsten Zeit ihres Lebens.

von
S. Marty
Victoria war acht Jahre lang Kindersoldatin in Uganda.

Victoria war acht Jahre lang Kindersoldatin in Uganda.

Victoria Nyanjura, Sie waren acht Jahre lang Kindersoldatin in Uganda. Im Rahmen der EDA-Jahreskonferenz zur menschlichen Sicherheit kämpfen Sie für mehr Gerechtigkeit für vom Krieg betroffene Frauen. Dafür reisten Sie zum ersten Mal ins Ausland. Was bedeutet das für Sie?

Ich freue mich sehr und ich bin dankbar, hier zu sein. Es ist für mich tatsächlich das erste Mal, dass ich überhaupt ins Ausland reise. Es gefällt mir in der Schweiz, auch wenn es hier so anders ist als in meiner Heimat Uganda. Ich wusste, dass die Schweiz ein friedliches Land ist. Aber es ist auch ein Land, das mir zuhört. Darum bin ich hier: um alle, die dazu in der Lage sind, dazu aufzurufen, etwas zu tun, damit irgendwann niemand mehr das erleben muss, was ich durchmachen musste.

Sie wurden mit 14 Jahren von der Lord's Resistance Army (LRA) entführt. Können Sie sich noch an diesen Tag erinnern?

Ja, ich kann mich gut daran erinnern. Ich war glücklich, dass ich zur Schule gehen konnte. Doch plötzlich, mitten in der Nacht, hörte ich Stimmen fremder Männer. Die Rebellen zerschlugen die Fenster der Schule, drangen in den Schlafsaal ein und fesselten uns. Einige der Mädchen wurden später freigelassen, andere konnten fliehen. Mich und 29 weitere junge Frauen nahmen die Rebellen mit. Sie machten uns zu ihren Sexsklavinnen.

Was mussten Sie während Ihrer Gefangenschaft alles über sich ergehen lassen?

Ich musste nicht kämpfen oder töten, dazu wurden praktisch nur die Knaben gezwungen. Uns Mädchen hielten sie, wie gesagt, als Sklavinnen. Wir wurden immer wieder vergewaltigt, missbraucht und geschlagen. Es war unsere Aufgabe, uns um den Haushalt zu kümmern. Irgendwann wurde ich mit einem Rebellenkommandanten zwangsverheiratet. Ich habe zwei Kinder von ihm. Ich gebar sie, als ich selbst noch ein Kind war - ohne Arzt oder medizinische Versorgung. Statt in der Schule zu sein, war ich gefangen. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens.

Heute stehen Sie hier in Bern als 33-jährige Frau. Wie geht es Ihnen?

Ich bin heute glücklich, doch auch schwer traumatisiert. Es gibt immer wieder Momente, in denen mich meine Vergangenheit einholt. So werde ich viele Tage meiner Gefangenschaft nie mehr vergessen, etwa, als ich mit 50 Stockschlägen so zugerichtet wurde, dass ich mehrere Wochen nicht mehr sitzen konnte. Die Rebellen fanden immer einen Grund, zuzuschlagen. Wir Mädchen hatten Angst und weinten, es war ihre Antwort, uns zum Schweigen zu bringen. Ich habe oft gebetet, dass ich sterben werde. Einige von uns nahmen sich auch das Leben. Ich erinnere mich aber auch an gute Tage, etwa als mir die Flucht gelang.

Nach acht Jahren Gefangenschaft waren Sie plötzlich wieder frei. Sie gingen wieder zur Schule und machten sogar einen Bachelor. Wie erlebten Sie diese Zeit?

Zu Beginn war es sehr schwierig, vor allem in der Schule. Ich war viel älter als meine Mitschüler und sie stigmatisierten mich als Rebellenfrau mit meinen Rebellenkindern. Doch mit der Zeit lernte ich, meine Vergangenheit als einen Teil von mir zu akzeptieren. Das Leben geht weiter, man muss nach vorn schauen.

Was sehen Sie denn, wenn Sie in die Zukunft blicken?

Mein grösster Wunsch ist es, dass ich meinen Schmerz, mein Leiden und meine Erfahrung dazu nutzen kann, etwas in der Welt zu verändern.

Einen ersten Schritt haben Sie mit ihrer Teilnahme an der EDA-Jahreskonferenz gemacht. Bundesrat Didier Burkhalter stellt gleichzeitig einen Aktionsplan zum Schutz von Kindersoldaten auf. Glauben Sie denn, dass die Schweiz Ihnen bei Ihrem Kampf wirklich helfen kann?

Ja, davon bin ich fest überzeugt. Sehen Sie, viel zu lange wurde über diese Thema geschwiegen. Allein die Tatsache, dass wir diese Übel thematisieren, kann eine Veränderung herbeiführen. Mein Land hat mich damals als Bürgerin nicht geschützt. Doch ich hoffe sehr, dass das ganze Engagement irgendwann dazu führen wird, dass sich auch meine Heimat ohne Krieg und so friedlich wie die Schweiz entwickeln kann.

Aktionsplan verabschiedet

Weltweit kämpfen rund 250'000 Kinder unter 18 Jahren in Streitkräften oder nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen. Das Aussendepartement (EDA) will sich nun verstärkt für den Schutz dieser Kindersoldaten einsetzen. Die Abteilung Menschliche Sicherheit des EDA hat dazu einen Aktionsplan ausgearbeitet. Die Schweiz als Depositärstaat der Genfer Konventionen habe beim Schutz der Kindersoldaten «eine spezielle Verantwortung», sagte Abteilungschef Claude Wild. Man sei «entschlossen, dem Einsatz von Mädchen und Jungen in bewaffneten Konflikten ein Ende zu setzen». Die Schweiz will unter anderem dazu beitragen, dass das Mindestalter 18 für die Teilnahme an Feindseligkeiten zur internationalen Norm wird. (sda)

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