Rechtschreibung«Studenten können nicht mehr richtig schreiben»
Maturanden haben zunehmend Mühe mit der Rechtschreibung. Ist die lasche Rechtschreibekontrolle an den Primarschulen daran schuld?

Christa Dürscheid: «Bei Kindern muss nicht gleich jede Kleinigkeit angestrichen werden.»
Falsch geschriebene Wörter, abgehackte Sätze, willkürlicher Gebrauch der vier Fälle und rein zufällig gesetzte Kommata: Prüfungsexperten bestätigen der NZZ, dass es Maturanden gibt, die kaum einen einzigen deutschen Satz korrekt schreiben können. Fehler in der Rechtschreibung seien bei fast allen nicht die Ausnahme, sondern die Regel. So heisse es bei den Schülern etwa «gleich falls« statt «gleichfalls« und «schohn» statt «schon».
Auch HSG-Professor Rainer J. Schweizer sagt: «Es ist tatsächlich so, dass Studenten zunehmend Mühe mit der Rechtschreibung haben.» Doch was sind die Gründe für die mangelnde Rechtschreibekompetenz der Schüler?
Lasche Rechtschreibekontrolle
Professor Schweizer glaubt, dass die steigende Zahl elektronischer Kommunikationsmittel an der Entwicklung schuld ist: «Auf Facebook oder WhatsApp ist nur eine reduzierte Kommunikation erforderlich, man benutzt oft Abkürzungen wie zum Beispiel ‹LG› statt ‹Liebe Grüsse›.» Diese Kommunikationsweise stelle einen grossen Teil der heutigen Kommunikation dar, deshalb entwickle sich die Sprache vieler Jugendlichen nur in beschränktem Masse. Auch bemerkt Schweizer eine wachsende Lesefaulheit: «Heutige Studenten lesen und schreiben grundsätzlich zu wenig.»
Eine weitere Ursache sieht SVP-Nationalrat und ehemaliger Lehrer Oskar Freysinger in der laschen Kontrolle der Rechtschreibung an Primarschulen. An vielen Schulen dürfen Kinder nämlich so schreiben, wie sie sprechen. So sollen sie Freude am Schreiben entwickeln. Das aber sei fatal, findet Freysinger: «Gerade während der ersten Schuljahre haben Kinder ein unglaublich fotografisches Gedächtnis, deshalb darf man sie nicht an falsche Schreibweisen gewöhnen.» Solche Fehler seien später nur sehr schwer zu beheben. Die Verarmung der Sprache schreite ohnehin schon sehr schnell voran: «Schon bald wird die deutsche Sprache in eine Willkürlichkeit, wie sie noch vor der Barockzeit herrschte, zurückfallen.» Deshalb müsse man in der Schule unbedingt von Anfang an auf die korrekte Orthografie achten.
Mehr Fehler, dafür «inhaltlich stark»
Der Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz, Christian Amsler, bestätigt, dass in den ersten Schuljahren in vielen Schulen mehr auf den Inhalt als auf die Form geschaut werde: «Viele Lehrer in der Schweiz unterrichten nach dem Prinzip des ‹Schreibe, wie du sprichst›, eine Methode, die von Sprachwissenschaftlern und Lehrern entwickelt wurde.» Probleme berge diese Methode keine. Im Gegenteil: Es sei gut, dass man die Texte der Kinder nicht mit dem Rotstift zudecke. Er selbst hält die Methode für sehr effektiv: «Ich habe kürzlich bei einem Schulbesuch die Anwendung dieser Methode beobachtet und war positiv beeindruckt davon.»
Auch der Berner Volksschulamtsvorsteher Erwin Sommer glaubt nicht, dass die lockere Rechtschreibkontrolle zu mehr Rechtschreibfehlern führe: «Ich habe eher festgestellt, dass der Wechsel der neuen Rechtschreibung zu einer Verunsicherung geführt hat.» Es sei wichtig, den Kindern die Freude am Schreiben zu vermitteln. Rot markierte Korrekturen könnten demotivierend wirken.
SP-Bildungspolitiker Matthias Aebischer ist von der «Schreibe, wie du sprichst»-Methode überzeugt: «Wenn man Kinder ständig korrigiert, nimmt man ihnen die Freude am Schreiben.» Er merke es bei seiner kleinen Tochter auch: «Wenn ich mir manchmal das Korrigieren nicht verkneifen kann, sehe ich sofort, dass es sie stört.» Natürlich müsse man einmal aufhören, jeden Rechtschreibefehler durchzulassen, doch dies müsse nicht gerade in der ersten oder zweiten Klasse geschehen.
Wenn er als Uni-Lehrbeauftragter mit Studenten zu tun habe, merke er manchmal auch, dass diese tendenziell mehr Fehler machen würden als früher. «Dafür sind sie inhaltlich klar stärker geworden.»