«UNO-Komitee hat keine Ahnung von der Schweiz»

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Menschenrechts-Bericht«UNO-Komitee hat keine Ahnung von der Schweiz»

Ein UNO-Gremium verlangt die Aufhebung des Minarettverbots und kritisiert die Selbstbestimmungs-Initiative. Das sorgt nicht nur in der SVP für Kopfschütteln.

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«Schweizer Recht statt fremde Richter»: Kisten mit Unterschriften für die Selbstbestimmungsinitiative der SVP. (12. August 2016)
Die Schweiz muss Volksinitiativen besser auf ihre Vereinbarkeit mit internationalem Recht überprüfen, so das UNO-Menschenrechtskommitee: Anhänger der NGO-Koalition «Schutzfaktor M», zeigen die rote Karte an einer Aktion gegen die Selbstbestimmungsinitiative in Bern. (12. August 2016)
Bereits im letzten Bericht hatte das Komitee die Initiative zum Verbot von Minaretten kritisiert.
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«Schweizer Recht statt fremde Richter»: Kisten mit Unterschriften für die Selbstbestimmungsinitiative der SVP. (12. August 2016)

Keystone/Peter Schneider

Alle vier Jahre überprüft der UNO-Menschenrechtsausschuss, wie ein Staat den Pakt über politische Rechte umsetzt. Laut dem am Donnerstag veröffentlichten Urteil der Experten ist die Schweiz alles andere als ein Musterknabe. Sie kritisieren insbesondere folgende Punkte:

Volksinitiativen: Das Gremium ist besorgt wegen der SVP-Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter», die Landesrecht über das Völkerrecht stellen will. Die Schweiz müsse kontrollieren, ob Volksinitiativen mit internationalem Recht vereinbar seien, bevor sie zur Abstimmung kämen.

Minarettverbot und Umgang mit dem Islam: Laut dem Komitee verletzt das Minarettverbot die Menschenrechte. Es fordert den Bundesrat auf, das Verbot abzuschaffen. Kritik übt der Bericht auch am Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum, wie es der Kanton Tessin kennt, sowie an Bestimmungen von Schulen, die sich gegen Muslime richteten.

«Ein fremdes Gremium richtet über die Schweiz»

Für SVP-Nationalrat und Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt sind die Forderungen der UNO ein «Affront»: «Hier richtet ein fremdes Gremium über die Schweiz, das von unserer direkten Demokratie keine Ahnung hat. Im Komitee sitzen sogenannte Experten aus Ländern wie Uganda, Ägypten oder Tunesien.»

Inzwischen gebe es leider ein ganzes Wirrwarr von internationalen Organisationen und Ausschüssen, die mit ihren Länderberichten Einfluss auf die Innenpolitik zu nehmen versuchten. «Der Bericht unterstützt unter dem Deckmantel der Menschenrechte Forderungen der politischen Linken, die diese innenpolitisch ohne Schützenhilfe von solchen Organisationen nicht durchbringt.»

Besser «mit Ländern wie der Türkei befassen»

Auch für CVP-Nationalrätin Ruth Humbel schiesst die UNO über das Ziel hinaus: «Eine direkte Demokratie unter dem Aspekt der Menschenrechte zu kritisieren, ist gewagt.» Der Bundesrat habe vor einiger Zeit Vorschläge gemacht, um Volksinitiativen einfacher für ungültig erklären zu können. Diese hätten aber in der politischen Diskussion keine Chance gehabt.

Laut Humbel sollte sich das UNO-Komitee lieber intensiv mit Ländern wie der Türkei befassen, wo elementare Grundrechte in Gefahr seien. Irritiert ist sie über die Ratschläge im Umgang mit dem radikalen Islam: «Es kann doch nicht sein, dass etwa Schulen nichts tun können, wenn Buben einer Lehrerin den Händedruck verweigern. Das wäre eine krasse Missachtung der Gleichstellung. Ich verstehe etwas anderes unter Menschenrechten.»

Alt-Bundesrichter stützt Kritik der UNO

Anderer Meinung ist Alt-Bundesrichter Giusep Nay. Die UNO-Menschenrechtsexperten hätten in allen Punkten Recht. So spricht er sich schon lange dafür aus, dass auch Initiativen für ungültig erklärt werden, wenn sie gegen zwingendes Völkerrecht «in einem weiten Sinn» verstossen, wie es in der neuen Bundesverfassung erklärt wird. «Es verträgt sich mit der direkten Demokratie, wenn Initiativen, die Menschenrechte verletzen, ungültig sind. Sonst unterscheidet sich die Demokratie nicht von einer Diktatur.» Es sei leider wahnsinnig schwierig, das in der Schweiz verständlich zu machen.

Auch eine Aufhebung des Minarettverbots sei aus rechtlicher Sicht wünschenswert, auch wenn es politisch chancenlos sei. Nay glaubt, dass der Bericht trotzdem nicht nutzlos ist: «Der Bundesrat wird ihn ernst nehmen.»

Beim Bundesamt für Justiz heisst es, es sei noch zu früh, um die Empfehlungen der UNO zu kommentieren. «Wir werden die Schlussfolgerungen studieren und gegenüber dem UNO-Menschenrechtsausschuss zu gegebener Zeit Stellung nehmen», sagt Sprecher Raphael Frei.

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