«Viele vergessen, warum es uns so gut geht»

Aktualisiert

Schneider-Ammann zu 1:12«Viele vergessen, warum es uns so gut geht»

Johann Schneider-Ammann kämpft mit Vehemenz gegen die 1:12-Initiative. Der Wirtschaftsminister über seinen Lohn, Empörung über Abzocker – und das Erfolgsmodell Schweiz.

S. Hehli / D. Pomper
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S. Hehli / D. Pomper

Sie waren früher Präsident der Ammann Group. Wären auch Sie ins Visier der 1:12-Initianten geraten?

Johann Schneider-Ammann: Nein, mein Lohn dort war tiefer als mein jetziger Bundesratslohn. Das Verhältnis zum tiefsten Gehalt betrug etwa 1:7.

War das ein gerechter Lohn?

Ich wusste immer, dass vergleichbare Jobs in vergleichbaren Unternehmen besser bezahlt sind. Aber das war für mich nie so wichtig. Ich war ja in der besonderen Situation, dass die Firma mir gehörte. Deshalb ging es mir vor allem darum, mit Leidenschaft etwas bewegen zu können. Dabei half mir natürlich, dass ich in einer Umgebung gelebt habe, die materiell keine Sorgen kennt. Um meinen Lohn festzulegen, setzte ich mich einmal pro Jahr mit dem Verwaltungsrat zusammen und wir fragten uns: Ist die Höhe des Betrags richtig?

Als Bundesrat verdienen Sie 450'000 Franken. Kann ein Banken- oder Pharmachef eine Leistung abliefern, die 20- oder 50-mal mehr wert ist?

Selbstverständlich nicht (lacht). Aber der Vergleich hinkt: Es gibt für Manager nun mal einen globalen Markt, für Bundesräte nicht.

Rechtfertigt das exorbitante Löhne?

Die betroffenen Manager haben eine hohe Verantwortung und leisten extrem viel – aber nein, das alleine rechtfertigt die Löhne nicht. Ein besserer Vergleich als jener mit den Bundesräten ist jener mit dem Nationalbankpräsidenten. Er steuert die ganze Volkswirtschaft und begnügt sich dennoch mit einem Lohn, der deutlich tiefer ist als die Saläre bei den Grossbanken. Ich bin aber überzeugt, dass allmählich ein Umdenken stattfindet.

Inwiefern?

Die Entwicklung in der Finanzindustrie hat den Kulminationspunkt überschritten, auch wenn die Löhne immer noch hoch sein werden.

Sie warnten schon 2002 als Swissmem-Präsident die Manager vor Lohnexzessen. Passiert ist wenig: Die UBS zahlte dem Investment-Banker Andrea Orcel eine Antrittsprämie von 25 Millionen Franken. Ist das nicht der Beweis, dass blosse Appelle nichts nützen?

Appelle alleine nützen zumindest kurzfristig wirklich nicht. Aber die Minder-Initiative wird sich mit der Zeit als wirksam erweisen. Das Volks-Ja dazu war ein klares und nachhaltiges Zeichen.

Mit der 1:12-Initiative wären die Lohnexzesse, die Sie selber beklagen, endgültig passé.

Das wichtigste Ziel der Wirtschaftspolitik des Bundesrates ist eine möglichst tiefe Arbeitslosigkeit. Wenn wir wegen einiger Dutzend Exzesse Unternehmen in die Wüste schicken, verliert der ganze Standort.

Wieso?

Unsere Wirtschaft funktioniert wie eine Kette. Vom globalen Player in der Finanzbranche über das von ihm finanzierte Unternehmen in der Realwirtschaft über den Zulieferer aus dem Mittelstand zum Gewerbler, der das Znüni bringt: Sie alle sitzen in einem Boot. Wenn Unternehmen in dieser Kette ausfallen, fehlen die Aufträge, was letztlich zu einem Verlust von Arbeitsplätzen führen kann. Deshalb müssen wir in Kauf nehmen, dass es überhöhte Gehälter gibt, auf die wir derzeit keinen Einfluss nehmen können.

Sie argumentieren mit liberalem Gedankengut und dem freien Spiel des Marktes. Doch diese Argumentation verhindert keine Exzesse. In anderen Bereichen greift der Staat ein, etwa bei Kartellen. Wieso nicht beim Lohn?

Ich bin kein Liberalismus-Fetischist. Aber die 1:12-Initiative untergräbt das Erfolgsmodell Schweiz. Unser freiheitliches Arbeitsmarktgesetz bewegt ausländische Unternehmen dazu, sich bei uns anzusiedeln – viel eher als in Frankreich, Italien oder Deutschland. Wenn die Konjunktur gut ist, kann man in der Schweiz Leute einstellen, wenn der Markt Restrukturierungen erzwingt, kann angepasst werden. Dank diesen Bestimmungen ist unsere Arbeitslosigkeit viel tiefer als in anderen Ländern.

Bei der 1:12-Initiative geht es nicht um den Kündigungsschutz, sondern um die Lohnspanne. Wo ist da der Liberalismus in Gefahr?

Es geht um Grundsätzliches: Der Staat darf nicht die Lohnsouveränität bekommen (klopft auf den Tisch). Überall wo das passiert ist, ist die Arbeitslosigkeit hoch. Die Juso-Vorlage hebelt – wie auch die Mindestlohn-Initiative – die Sozialpartnerschaft aus. 1931 sassen die Unternehmer und Angestellten der Maschinenindustrie im Oltener Bahnhofbuffet zusammen und legten fest: Die Arbeiter streiken nicht mehr, die Unternehmer sperren keine Arbeiter mehr aus. Sie einigten sich über die Arbeitszeit und die Lohnrahmenbedingungen – schlauerweise ohne fixe Lohnmechanismen. Streiks und Arbeitslosigkeit waren daraufhin Geschichte. Die Löhne sind dadurch in den guten Zeiten zwar weniger gestiegen, als es in einem anderen System möglich gewesen wäre – aber dafür blieben sie in den schlechten Zeiten auf dem einmal errungenen Niveau. Mit staatlichen Regelungen, die keine Rücksicht auf die Besonderheiten der verschiedenen Branchen nehmen, fahren wir gegen die Wand.

Sie malen den Teufel an die Wand, indem sie dem Stimmvolk mit Arbeitslosigkeit drohen.

Ich drohe nicht, aber ich mache mir Sorgen. Denn es ist klar, die Initiative lässt Schlupflöcher offen. Angenommen, das Volk würde Ja sagen und die Firmen würden später die Gesetzeslücken ausnützen: Dann ginge das Zeter und Mordio erst recht los. Es kämen Forderungen auf, dass man weiter am Arbeitsgesetz rumflicken müsste – und der liberale Geist ginge verloren.

Sie drohen trotzdem – auch mit der Aussicht, dass Firmen wegzögen.

Nein, ich warne. Wenn wir ein Zeichen in die Welt setzen, dass die Schweiz auf dem besten Weg ist, sich zu verregulieren: Dann kämen ein paar Firmen, die den Standort Schweiz ins Auge gefasst haben, nicht mehr. Und solche, die schon hier sind, würden sich einen Wegzug überlegen. Langfristig wäre das ein grosser Verlust für die Beschäftigung in unserem Land.

Sie haben zudem vor Ausfällen von rund 600 Millionen Franken bei den Sozialwerken gewarnt…

Wenn die Bestbezahlten nur noch 500'000 Franken verdienen dürften, würden der AHV alleine durch die Reduktion der Lohnmasse 550 Millionen pro Jahr fehlen. Die Arbeitslosenversicherung bekäme 50 Millionen weniger. Damit haben wir noch nicht von sinkenden Steuern gesprochen.

Der Thinktank Denknetz kommt zum Schluss: Wenn die Manager weniger verdienen, kriegen dafür Mitarbeiter und Aktionäre mehr, der Konsum würde steigen. Wäre das nicht erstrebenswert für die Wirtschaft?

Das eine ist die Theorie, das andere ist die Praxis. Nur weil man denen oben etwas wegnimmt, heisst das noch lange nicht, dass die unten mehr bekommen.

Wieso sind Sie sich da so sicher? Die Manager haben in den letzten Jahren ja sehr viel Kreativität bewiesen, wenn es darum ging, möglichst viel zu verdienen. Da könnte es für sie doch reizvoll sein, nach einem Ja zu 1:12 die tiefsten Löhne anzuheben, um selber mehr zu kassieren.

Der Lohn muss mit einer Leistung verknüpft sein. Je höher jemand in einem Unternehmen ist, umso grösser ist seine Verantwortung und umso höher ist sein Einfluss auf den Erfolg des Unternehmens – dementsprechend verdient er auch mehr. Wir haben insgesamt schon sehr hohe Löhne und müssen uns auf dem Weltmarkt gegen Angriffe von Standorten mit deutlich tieferen Kostenstrukturen wehren. Eine Gleichmacherei beim Lohn trotz unterschiedlicher Leistungen führt blitzartig zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit.

Haben Sie sich schon überlegt, wie die Initiative umzusetzen wäre?

Konkret noch nicht, nein. Aber wenn es der Volkswille wäre, müsste die Initiative natürlich eins zu eins umgesetzt werden. Das bedeutet: Wir müssten kontrollieren.

Es gäbe also eine staatliche Lohnpolizei?

Das Wort würde ich nicht verwenden. Aber es bräuchte eine enorme Bürokratie. Immer mehr Beamte müssten die Unternehmerinnen und Unternehmer kontrollieren.

Laut der ersten SRG-Umfrage halten sich Befürworter und Gegner der Initiative mit je 44 Prozent die Waage. Hat Sie diese hohe Zustimmung erschreckt?

Nicht wirklich. Viele Leute haben offenbar vergessen, warum es uns so gut geht. Unser Wohlstand fusst auf der freiheitlichen Wirtschaftsordnung und der Sozialpartnerschaft. Ich bin aber überzeugt, dass das Volk am Schluss so vernünftig sein wird, die Initiative abzulehnen. Die Mehrheit wird einsehen, dass wir keinen Fundamentalentscheid über das Funktionieren des Arbeitsmarktes auf Empörung aufbauen dürfen

Viele Angehörige des Mittelstandes machen die Faust im Sack, weil sie das Gefühl haben, ökonomisch stehen zu bleiben oder sogar abzusteigen.

In meiner Unternehmerzeit habe ich in guten und schlechten Zeiten immer wieder das Gespräch gesucht mit den Betriebskommissionen. Auf dieser Vertrauensbasis hat man nachher Lösungen gefunden. Ich orientiere mich an einer solchen Geisteshaltung – und nicht an einer Bewirtschaftung der Empörung.

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