Haftbedingungen für Carlos«Wenn das stimmt, ist es ein Justizskandal»
Tagelang keine Matratze, Fussfesseln, Isolation: Carlos sei in U-Haft nicht menschenwürdig behandelt worden, sagt sein Anwalt. Nun gibt es eine Untersuchung.
Am Montag stand der als Carlos bekannt gewordene Jugendstraftäter wieder einmal vor Gericht: Wegen eines Faustschlags wurde er zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten unbedingt verurteilt.
Für Aufregung sorgten die Ausführungen von Carlos' Anwalt Marcel Bosonnet. Dieser richtete schwere Vorwürfe gegen die Zürcher Justizbehörden. Im Januar habe sein Mandant auf der Sicherheitsabteilung des Gefängnisses Pfäffikon ZH mindestens 20 Tage lang «menschenunwürdige Haftbedingungen» erdulden müssen. Dorthin werden Häftlinge verlegt, wenn die Gefahr der Gewaltanwendung oder der schweren Störung der Ordnung und Sicherheit des Gefängnisbetriebs besteht.
«Solche Haftbedingungen habe ich noch nie gesehen»
Laut Verteidiger Bosonnet hatte Carlos keine Matratze. Er habe trotz der niedrigen Temperaturen am Boden schlafen müssen und nur eine Wolldecke bekommen. «Er musste 24 Stunden Fussfesseln tragen, obwohl er isoliert war und keinen Hofgang hatte. Er hatte keine Bücher, kein TV, kein Radio.» Zudem soll er zeitweise nur Brot bekommen haben.
Auf Nachfrage von 20 Minuten sagt Bosonnet, er habe sich bei seinen Besuchen ein Bild von den «entwürdigenden» Zuständen machen können. «Solche Haftbedingungen habe ich noch nie gesehen.» Auch habe er nur durch die transparente Zellentür mit Carlos reden können. «Ein solcher Vollzug macht aus einem Häftling sicher keinen besseren Menschen.» Bosonnet fordert, dass die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter den Fall «unvoreingenommen» untersucht.
«Das ist weisse Folter»
Empört reagiert die Strafgefangenenorganisation Reform 91: «Wenn das stimmt, ist es ein Justizskandal. Ein solch scharfer Arrest ist sicher nicht normal», sagt Sprecher Peter Zimmermann. Werde eine Person über Wochen isoliert, handle es sich um «weisse Folter».
Zurückhaltender ist Beat Gerber, Sprecher von Amnesty International Schweiz: «Es gibt internationale Minimalstandards der UNO für die Behandlung von Gefangenen. Grausame oder erniedrigende Bestrafung ist ausdrücklich verboten.» Der Fall Carlos sei aus der Distanz schwierig zu beurteilen. «Hellhörig machen aber die lange Fesselung und die Nahrungseinschränkung. Es ist richtig, wenn die Verhältnismässigkeit der Disziplinarmassnahmen untersucht wird.»
«Carlos war im Vollzug immer schwierig»
Das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürichs hat eine externe Untersuchung des Falls angeordnet. Laut Sprecherin Rebecca de Silva ist es noch zu früh, um die einzelnen Vorwürfe kommentieren zu können.
Strafvollzugsexperte Benjamin Brägger erinnert daran, dass Carlos im Vollzug immer schwierig gewesen und durch renitentes Verhalten aufgefallen sei. Bekannt ist, dass er eine Zelle komplett verwüstete und Feuer legte. Brägger sagt, man lande nicht aus heiterem Himmel in der Sicherheitsabteilung.
«Wenn Einschränkungen erfolgen, ist der Grund immer der Gefangene. Je aggressiver ein Insasse ist, je fremdgefährlicher er ist, desto mehr werden die Haftbedingungen verschärft», sagt Brägger. Dies könne zur Einzelhaft, zur Isolationshaft führen, wo Insassen auch ausnahmsweise gebunden oder angegurtet werden müssen, um Selbst- oder Fremdverletzungen zu verhindern. Auch das Wegnehmen einer Matratze könne in Einzelfällen ausnahmsweise für eine kurze Zeitspanne vorkommen.
Ähnlich sieht es Thomas Noll vom Schweizerischen Ausbildungszentrum für das Strafvollzugspersonal. «Die Frage ist, ob eine Handlung verhältnismässig ist: Wird Personal bedroht oder gefährdet ein Häftling andere oder sich selbst, können solche Einschränkungen unter dem Strich gerechtfertigt sein.»