Fluglärmvertrag gestoppt«Zeit zum Nachverhandeln ist vorbei»
Der deutsche Verkehrsminister fühlt sich von den Schweizern übers Ohr gehauen – und will den Fluglärm-Staatsvertrag neu aushandeln. In der Schweiz reagiert man darauf mit Ablehnung.

Am WEF 2012 in Davos demonstrierten sie noch Einigkeit: Verkehrsministerin Doris Leuthard und ihr deutscher Amtskollege Peter Ramsauer.
Es ist ein Déjà-vu: Deutschland will mit der Schweiz neu verhandeln. Diesmal geht es aber nicht um das Steuerabkommen, sondern um den umstrittenen Fluglärm-Staatsvertrag. Ziel sei, noch offene Fragen in einer völkerrechtlich verbindlichen Form zu klären, sagte der deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer am Montag.
Wie beim Steuerdeal hat die Schweiz offenbar zu gut verhandelt – so dass sich die Deutschen über den Tisch gezogen fühlen. Dass der Vertrag, den Ramsauer selber unterschrieben hat, nun seinen Ansprüchen offenbar nicht mehr genügt, hat mit einer unterschiedlichen Interpretation der künftig erlaubten Flugbewegungen in Kloten zu tun.
85'000 oder 110'000 Anflüge?
Die Schweiz geht davon aus, dass maximal 110'000 Anflüge pro Jahr über Süddeutschland möglich wären. Undiplomatisch sagte Ramsauer dazu in einem Interview: «Das ist ein völliger Quatsch, so ein Unsinn.»
Ramsauer pocht stattdessen auf eine Reduktion von heute 100'000 auf 85'000 Anflüge. Der CSU-Mann geriet in Deutschland unter massiven Druck, als bekannt wurde, dass die Schweizer sogar mit einer Erhöhung der Flugbewegungen rechnen.
Die nationalen Fraktionen von SPD, Grünen und Linken wollen den Staatsvertrag bekämpfen, dazu kommen auch die bürgerlichen Parteien im vom Fluglärm betroffenen Baden-Württemberg. Diese Allianz wäre stark genug, um den Staatsvertrag mit der Schweiz im Bundestag zu versenken.
In Südwestdeutschland gibt es massive Proteste gegen den Vertrag. Er sieht vor, dass Anflüge auf den Flughafen Zürich am Abend früher als heute über die Schweiz statt über deutsches Gebiet geführt werden. Kritiker monieren, Südbaden werde nicht nachhaltig von Fluglärm entlastet.
Vertrag vorerst auf Eis gelegt
Die nun von Ramsauer angestrebten Präzisierungen des Fluglärm-Staatsvertrags könnten als Anhang, Zusatz oder Protokoll beider Seiten geschehen. Falls erforderlich, könne auch der Vertrag in einzelnen Punkten noch einmal abgeändert werden, stellt der Minister in Aussicht.
Wegen dieser Klärungen solle mit den nächsten Schritten zur Ratifizierung des bereits unterzeichneten Vertrags durch den deutschen Bundestag vorerst gewartet werden, sagte Ramsauer in Berlin. Zuvor hatte er dort Vertreter aus dem Bundesland Baden-Württemberg getroffen.
Bundesrat zeigt sich offen für Klärungen
Doris Leuthard hält am Staatsvertrag fest. Bei diesem handle es sich um einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss, schreibt Leuthards Verkehrsdepartement auf Anfrage von 20 Minuten Online. «Er bringt der Schweiz Rechtssicherheit und ermöglicht dem Flughafen Zürich eine moderate Entwicklung.»
Trotzdem sei die Schweiz offen, die von deutscher Seite aufgetauchten offenen Fragen gemeinsam zu klären. Nachverhandlungen seien dazu jedoch nicht erforderlich. Leuthard zeigt keine Bereitschaft, ihren Fahrplan zu ändern – und will die Botschaft zum Staatsvertrag wie angekündigt Ende Jahr dem Parlament vorlegen.
«Zeit zum Nachverhandeln ist vorbei»
Auch für den Schaffhauser SVP-Nationalrat und Swiss-Linienpilot Thomas Hurter sind Nachverhandlungen kein Thema: «Wir müssen den Deutschen sagen, dass die Zeit dafür vorbei ist.» Hurter glaubt, Ramsauer wolle verhindern, eine Schlappe wie Wolfang Schäuble einzufangen: Der deutsche Finanzminister brachte den Steuerdeal nicht durch die deutsche Länderkammer.
In Übereinstimmung mit Hurter findet CVP-Nationalrätin Ruth Humbel, dass auch die Schweizer Bevölkerung rund um den Flughafen Kloten mit dem Staatsvertrag Opfer bringen müsse. «Wir sollten den Deutschen einfach wieder mal vorrechnen, wie viele Deutsche über Kloten fliegen. (hhs/mdr/sda)