KrankenkasseÜber 100'000 Schweizer zahlen ihre Prämien nicht
Die Zahl der Personen, die ihre Krankenkassen-Rechnungen nicht begleichen, steigt. In neun Kantonen landen Prämiensünder auf schwarzen Listen.
Immer mehr Schweizer wollen oder können ihre Prämien nicht bezahlen. Allein im Kanton Zürich blieben 2014 Krankenkassen-Rechnungen im Wert von 37,8 Millionen Franken offen – die Summe hat sich in den letzten sieben Jahren beinahe verdoppelt.
Auch andernorts schossen die Kosten durch die Decke: Landesweit verursachten mindestens 126'000 Prämiensünder Kosten von über 236 Millionen Franken.
Heinz Brand (SVP), Präsident des Krankenkassenverbands Santésuisse, spricht von einem grossen Problem: «Die Kosten werden dann zwangsläufig auf die anderen Versicherten beziehungsweise auf den Steuerzahler abgewälzt.» Zahlt eine Person ihre Prämien nicht, begleicht der Kanton 85 Prozent der Rechnung, den Rest tragen die Versicherungen.
Brand räumt ein, die Prämien hätten eine Höhe erreicht, bei der es für gewisse Einkommensschichten kritisch werde. Er ist aber überzeugt: «Es gibt aber auch eine Kategorie von Kunden, die ihr Geld lieber für ein neues Auto oder Ferien ausgeben als für die Krankenkassenprämien.»
Schwarze Listen
Mehrere Kantone haben auf die Entwicklung reagiert und schwarze Listen mit den Namen säumiger Prämienzahler eingerichtet (siehe Grafik). Im Kanton Aargau etwa sind aktuell über 10'000 Personen erfasst, in Luzern 6900 und im Thurgau gut 5000. Bis sie ihre Schulden beglichen haben, bezahlt die Krankenkasse den Betroffenen nur noch medizinische Notfallbehandlungen.
Rausan Noori, Juristin bei der Schuldenberatung von Caritas Schweiz, ist alarmiert: «Der Leistungsstopp kann gravierende Folgen haben.» Erhielten Kranke keine medizinische Leistungen, sei das nicht nur ein Bruch mit der Verfassung – auch die Folgekosten seien beträchtlich. Sie verweist auf ein Beispiel aus dem Kanton Luzern: Dort bezahlte die Krankenkasse einem Diabetiker aufgrund seines Listeneintrags das Insulin nicht. Der Mann erlitt einen Kollaps, es folgte ein längerer Spitalaufenthalt. Bis heute soll der Mann praktisch arbeitsunfähig sein.
Sparen bei Prämienverbilligungen
Kaum jemand ignoriere Rechnungen und Mahnungen aus Prinzip, so Noori. «Die Prämien sind in den letzten Jahren so stark gestiegen, dass viele Haushalte diese finanzielle Herausforderung schlicht nicht mehr stemmen können.» Dazu komme, dass viele Kantone unter Spardruck ausgerechnet bei den Prämienverbilligungen den Rotstift angesetzt hätten. Inzwischen hätten bereits sechs von zehn Personen, die sich bei einer Schuldenberatungsstelle melden, mit Zahlungsrückständen bei den Prämien zu kämpfen. Noori fordert die Politik auf, «endlich Lösungen im Interesse der schuldenbetroffenen Menschen zu finden».
Alain Rogger, Leiter der Stelle für ausstehende Prämien und Kostenbeteiligungen in Luzern, will die Massnahme jedoch nicht als Strafe für Armutsbetroffene verstanden wissen: «Auf die Liste kommt, wer zahlungsunwillig ist – und nicht, wer zahlungsunfähig ist.» Personen unter 18 Jahren sowie die Bezüger von Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen würden nicht erfasst. Rogger räumt zwar ein, viele Personen landeten immer wieder auf der Liste: «Werden sie nach Bezahlung der Ausstände von der Liste gelöscht, erfolgt im folgenden Quartal häufig eine neue Betreibung durch den Krankenversicherer.» Dennoch ist er von der abschreckenden Wirkung der Massnahmen überzeugt: «Ohne die Liste gäbe es noch viel mehr säumige Prämienzahler und die Ausstände wären höher.»
Nutzen nicht erwiesen
Von einer präventiven Wirkung spricht auch Susanna Schuppisser, Stv. Chefin des kantonalen Thurgauer Amtes für Gesundheit. Der Thurgau war 2007 der erste Kanton, der eine Liste für säumige Steuerzahler eingeführt hat. Dort werden auch die Gemeinden eingebunden: «Wir fordern sie auf, die Personen auf der Liste zu kontaktieren und mit ihnen die Situation individuell anzuschauen», so Schuppisser.
Im Kanton Zürich ist eine schwarze Liste hingegen kein Thema – trotz der rund 20'000 säumigen Prämienzahler jährlich. Regierungsrat und Kantonsparlament hätten das Modell schon 2013 abgelehnt, weil sie überzeugt gewesen seien, dass der Aufwand den allfälligen Nutzen bei Weitem übersteigen würde, sagt Daniel Winter von der Gesundheitsdirektion. Er verweist auf eine externe Studie des Basler Büros B,S,S. Die Autoren kamen vergangenes Jahr ebenfalls zum Schluss, dass eine positive Auswirkung einer schwarzen Liste auf das Zahlungsverhalten «nicht belegt» werden könne.