1:12-Gegner kennen eigene Argumente nicht

Aktualisiert

Juso freuts1:12-Gegner kennen eigene Argumente nicht

Der Gewerbeverband kämpft an vorderster Front gegen die 1:12-Initiative. Doch der Präsident und der Direktor des Verbands machen sich gegenseitig die Argumente zunichte.

Christoph Bernet
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Christoph Bernet

Der SVP-Nationalrat Jean-François Rime ist der oberste Gewerbler der Schweiz. Seit 2012 präsidiert er den Schweizerischen Gewerbeverband (SGV). Dieser schrieb in einer Medienmitteilung zu den neusten Umfragewerten der 1:12-Initiative: «Die Schweizer erkennen das immense Schadenspotenzial, welches die Initiative mit bis zu 4 Milliarden Ausfällen bei Steuern und AHV mit sich bringt.» Unter der Medienmitteilung ist Jean-François Rime als Auskunftsperson angegeben. Derselbe Rime sagte in einem Interview mit der «Berner Zeitung» vom 25. Oktober: «Ich habe nie von vier Milliarden gesprochen. Nie.» Er gehe von insgesamt 1,7 Milliarden Ausfällen für den Fiskus und die Sozialwerke aus, sagt Rime gegenüber 20 Minuten.

Auch vom Argument der 1:12-Gegner, dass die Initiative leicht umgangen werden könne, distanziert sich SGV-Präsident Rime: «Wir argumentieren nicht, dass die Initiative abgelehnt werden muss, weil sie umgangen werden kann.»Der Direktor des Gewerbeverbands, Hans-Ulrich Bigler, sieht das offenbar anders. In einem Gespräch mit 20 Minuten nannte er die Initiative «löchrig wie einen Emmentalerkäse». Er glaube, Unternehmen würden einfache Wege finden, die 1:12-Regel zu umgehen.

Während Bigler gegenüber 20 Minuten sagte, man müsse die Drohung grosser Unternehmen, bei einer Annahme der Initiative ins Ausland abzuwandern, ernst nehmen, relativiert Jean-François Rime: Die Schweiz bliebe auch bei einem Ja zu 1:12 wegen ihrer politischen Stabilität und der Rechtssicherheit attraktiv für Unternehmen. «Nestlé würde immer noch lieber in der Schweiz bleiben, als den Firmensitz nach Frankreich zu verlegen», sagt Rime.

Wermuth «baff»

SP-Nationalrat Cédric Wermuth war laut eigenen Aussagen «völlig baff», als sich Jean-François Rime im gemeinsamen Doppelinterview in der «Berner Zeitung» von den befürchteten finanziellen Ausfällen von vier Milliarden distanzierte. «Ich habe bei Rime extra nachgefragt, bevor ich das glauben konnte», sagt Wermuth.

Die vom SGV befürchteten Milliardenausfälle bei Steuern und AHV basieren auf einer Studie der Universität St. Gallen, die der Gewerbeverband selber in Auftrag gegeben hatte. «Es ist schon etwas verwirrend, wenn sich nun der SGV-Präsident davon distanziert», sagt Cédric Wermuth weiter. Schliesslich habe der Gewerbeverband die Studie mit grossem Trara präsentiert und führe seit Monaten «eine Lügenkampagne, welche auf den völlig unhaltbaren Zahlen der Universität St. Gallen basiert».

Auch für Juso-Präsident David Roth ist klar, dass sich der Gewerbeverband mit den «surrealen Drohungen» eines drohenden Milliardenlochs und eines Exodus von Firmen aus der Schweiz unglaubwürdig mache. Der SGV habe gemerkt, dass die Ergebnisse dieser «peinlichen» Studie einer genaueren Überprüfung nicht standhielten und versuche, sich jetzt davon zu distanzieren.

«Kein Kommunikationsproblem»

Der Gewerbeverband weist die Vorwürfe von sich. Bigler wehrt sich: «Wir haben kein Kommunikationsproblem.» Es hänge von der persönlichen Gewichtung der verschiedenen Argumente ab, wie man sich in einem Interview äussere. Es sei unbestritten, dass die 1:12-Initiative zu Ausfällen bei den Steuern und der AHV führen werde und dass ihre Umsetzung mit grossem bürokratischen Aufwand verbunden wäre.

In die gleiche Kerbe schlägt Rime. Es sei klar, dass im Verlauf einer langen und intensiven Kampagne verschiedene Aspekte zur Sprache kommen. Beim Hauptargument stimme er mit Bigler überein, dass nämlich die 1:12-Initiative mehr Bürokratie und eine schädliche staatliche Einflussnahme auf die Unternehmen mit sich bringe. «Wohin das führt, sieht man im sozialistisch regierten Frankreich, wo die unternehmerische Freiheit eingeschränkt wird und eine hohe Arbeitslosenquote herrscht.»

Berset soll am Zahlenchaos schuld sein

Auch dem Vorwurf, mit «unhaltbaren Zahlen» zu operieren, widerspricht Hans-Ulrich Bigler. Eine Zweitstudie der ETH Zürich habe die grundsätzlichen Aussagen der Universität St. Gallen bestätigt, auch wenn die ETH die Höhe der Ausfälle nicht beziffert habe. Die vier Milliarden werden in einem von zehn möglichen Szenarien der St. Galler Studie genannt. «Wir haben immer betont, dass es schwierig sei, die genaue Höhe der Ausfälle zu beziffern.»

Für Bigler trägt der SP-Bundesrat Alain Berset wesentlich Mitverantwortung daran, dass die Debatte so stark auf Studienergebnisse fokussiert sei. Berset habe den klaren Auftrag erhalten, die möglichen Auswirkungen der 1:12-Initiative auf die Sozialwerke zu beziffern. Dass die Bundesverwaltung diese Zahlen bis heute nicht geliefert habe «liegt daran, dass der zuständige Departementschef ein SP-Parteibuch hat».

Steckt Economiesuisse dahinter?

Cédric Wermuth hingegen sieht im Lager der Initiativgegner ein grundsätzliches Problem. Es sei absurd, dass man den Gewerbeverband als KMU-Organisation an die Spitze der Nein-Kampagne gestellt habe. Die KMU seien von der Juso-Initiative gar nicht betroffen. Der SGV habe viele vernünftige Mitglieder, die jetzt merkten, dass sie von der Economiesuisse für eine «Lügenkampagne» im Interesse von Grossverdienern eingespannt werden. Vermutlich habe die Economiesuisse eine weitere Schlappe wie bei der Abzocker-Initiative vermeiden wollen und deshalb den Gewerbeverband vorgeschickt.

«Unsere Mitglieder sind sehr aktiv im Abstimmungskampf gegen die 1:12-Initiative», widerspricht Hans-Ulrich Bigler. Die Initiative sei der Auftakt zu einer Reihe von weiteren wirtschaftspolitischen Vorlagen wie der Mindestlohn-Initiative oder der Erbschaftssteuer-Initiative, welche die Interessen von KMU bedrohten. «Bei all diesen Abstimmungskämpfen werden sich unsere Mitglieder, wie jetzt bei der 1:12-Initiative, mit viel Herzblut engagieren.»

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