«In der Schweiz kann man jeden Politiker kaufen»

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Mandate-Sammler«In der Schweiz kann man jeden Politiker kaufen»

Parlamentarier haben in der ersten Hälfte der Legislatur 147 zusätzliche Posten und Mandate angehäuft. Kritiker warnen davor, dass Politiker zu Marionetten werden.

Désirée Pomper
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Désirée Pomper

Trotz Job und Sessionen: National- und Ständeräte finden dennoch Zeit für weitere Engagements. Wie eine Auswertung des «Beobachters» zur Halbzeit der Legislatur zeigt, hat sich die Zahl der Mandate innert zwei Jahren um 147 auf 1849 erhöht. Das ergibt einen Pro-Kopf-Durchschnitt von 7,5 Mandaten. Die Nase vorn hat die FDP. Ihre 41 National- und Ständeräte bringen es auf 419 Mandate. Es folgt die SVP mit 397 Mandaten (+35). Die SP hat 40 neue Mandate hinzugewonnen und kommt auf 381 Mandate. Die CVP zählt 368 (+34), die Grünen 103 (+7), die BDP 88 (+11) und die Grünliberalen 71 Mandate (+12).

Dieser Mandatssammeleifer kommt nicht überall gut an. SVP-Nationalrat Lukas Reimann findet die Entwicklung «hochproblematisch». Für ihn ist klar: «Wer zahlt, bestimmt.» Wer von Krankenkassen oder Banken 40'000 Franken pro Jahr dafür kassiere, dass er zwei- oder dreimal im Jahr an einer Sitzung teilnehme, verliere seine Unabhängigkeit: «Mir kann niemand erzählen, dass man dann entgegen den Interessen des Geldgebers stimmt.» Ausserdem seien die Firmen ja auch nicht blöd: «Sie investieren nur in Politiker, wenn es etwas bringt.» Besonders kritisch beobachtet Reimann die «naiven» Neulinge im Parlament, die plötzlich von Interessengruppen mit Mandaten eingedeckt werden, um ihren Einfluss geltend zu machen. Deshalb hat Reimann eine Volksinitiative lanciert, die von den Räten volle Lohn- und Einkommenstransparenz verlangt: «Die Bürger sollen sehen, wer sich von wem wie viel Geld bezahlen lässt. Nur so weiss der Stimmbürger, für wen er wirklich stimmt.»

«Sobald Geld fliesst, verliert man seine Unabhängigkeit»

Politologe Georg Lutz warnt, dass man in der Schweiz «jeden Politiker kaufen kann»: «Die Schweiz ist das einzige Land, wo man sich völlig legal Parlamentarier und somit Einfluss kaufen kann.» Durch die Vielzahl von Mandaten seien Politiker zunehmend fremdbestimmt. Auch wenn das nie jemand zugeben würde: «Sobald Geld fliesst, verliert man seine Unabhängigkeit», sagt Lutz. Zwar müssen Parlamentarier seit einigen Jahren ihre Mandate im Register der Interessenbindungen eintragen. Die Entschädigung aber bleibt unter Verschluss. «Wie soll man denn wissen, ob jemand als Politiker oder als Lobbyist auftritt?» Lutz sieht im Milizsystem zwar auch Vorteile: «Es ist gut, dass berufliche Netzwerke in die Politik einfliessen.» Aber wenn er sehe, wie systematisch Organisationen Erfolg versprechende Politiker nach den Parlamentswahlen angingen, dann sei das schon «sehr bedenklich». Es brauche dringend mehr Transparenz.

«Ich bin kein Erfüllungsgehilfe»

Wie die «Beobachter»-Auswertung zeigt, haben FDP-Ständerat Joachim Eder und SP-Nationalrat Matthias Aebischer seit 2011 am eifrigsten Mandate gesammelt.

Der Zuger Alt-Regierungsrat Eder hat 14 neue Mandate, unter anderem je eines von Comparis und vom Schweizer Ärzteverband FMH. Insgesamt kommt er auf 20 Mandate. «Ich habe mich nie vorgedrängt, sondern wurde immer angefragt», sagt Eder. Monatlich bringen ihm die Mandate 4000 Franken ein, die meisten seien ehrenamtlich. «Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht», sagt Eder. Schliesslich müsse er im Parlament nicht unabhängig sein: «Wir sind automatisch Interessenvertreter, das ist absolut legitim.» Aber er stellt auch klar: «Ich bin kein Erfüllungsgehilfe von irgendjemandem.» Er könne sehr wohl gegen die Interessen eines seiner Mandatgeber sein. «Ich bleibe mir selber treu», sagt Eder.

Das sieht auch Matthias Aebischer so, der in den letzten zwei Jahren auf 12 neue Mandate gekommen ist. Von den insgesamt 14 Mandaten bekommt er nur von zweien Geld - 2000 Franken monatlich. «Das ist nichts gegenüber den Bürgerlichen, die für ein einziges Mandat 60'000 Franken und mehr kassieren», sagt Aebischer. Ausserdem habe er keine problematischen Mandate: «Unabhängiges Politisieren ist für mich kein Problem.» Sein Problem sei wohl viel eher, dass er ein gewissenhafter Mandatsaufschreiber ist. «Das machen nicht alle so.»

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