Neues Gesetz«Der Nachrichtendienst wird unkontrollierbar»
Der Staatsrechtsprofessor Rainer Schweizer warnt: Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz werde eine «geheime Staatsgewalt» geschaffen.
Herr Schweizer, Sie kämpfen gegen das neue Nachrichtendienstgesetz, das präventive Telefonüberwachung und das Eindringen in Computer erlauben will. Haben Sie etwas zu verbergen?
Nicht das Geringste. Es wäre mir egal, wenn ich registriert wäre. Mich beunruhigt etwas ganz anderes. Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz wird eine Verwaltung geschaffen, die praktisch ausserhalb der demokratischen Kontrollen steht und alles geheim halten kann. Ich warne vor der Schaffung einer geheimen Staatsgewalt, die von niemandem effektiv kontrolliert werden kann, umgekehrt aber auf Informationen aller anderen Staatsgewalten zugreifen kann.
Aber ist das Nachrichtendienstgesetz nicht überholt?
Doch, das jetzige Nachrichtendienstgesetz reicht nicht mehr. Aber schwere Eingriffe in die Privatsphäre von Bürgern müssen durch die Staatsanwaltschaften angefordert werden. Entsprechend müsste man die Kompetenzen der Bundesanwaltschaften stärken und nicht die eines abgehobenen Nachrichtendienstes. Das neue Gesetz ist eine Kopie davon, was die Amerikaner nach 9/11 ins Leben gerufen haben. Das ist Kriegsrecht. Das Gesetz besteht leider aus einer Reihe von Fehlkonstruktionen. So gibt es etwa kein Beschwerderecht gegen die Nichtauskunft oder Nichtmitteilung, was menschenrechtswidrig ist. Problematisch sind die Folgen auch für die Medien.
Inwiefern?
Es ist illusorisch zu glauben, dass der Nachrichtendienst nicht E-Mails von Journalisten mitlesen würde. Schliesslich sind diese Informationen besonders interessant, weil die Medien sehr viele Informationen aus vielen Lebensbereichen haben. Das Gesetz weist dem NDB nämlich keine Schranken auf.
Der Bundesrat rechnet mit gerade mal zehn bis zwölf Fällen im Jahr, bei denen das Gesetz zum Einsatz käme. Es handle sich um ganz gezielte Massnahmen, die nur dort bewilligt würden, wo ein Verdacht bestünde.
Das werden sicher bis zu 30 Fälle sein. Einerseits wird es gezielte Eingriffe geben, wo im Rahmen von Gesprächsüberwachungen einzelne Personen und ihre Kommunikationspartner ins Visier genommen werden. Es gibt aber auch Funk- und Leitungsüberwachungen, die gegen Schweizer und Ausländer gerichtet sind. Das muss man sich wie ein riesiges Fangnetz vorstellen, bei dem Daten von Zehntausenden Personen abgespeichert werden können. Diese Daten werden zehn Jahre lang aufbewahrt, obwohl diese lange Aufbewahrung auf Vorrat gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstösst. Diese riesige Restdatenmenge wird zu Problemen führen.
Nehmen wir an, ein Bürger, der sich nichts zu Schulden hat kommen lassen, würde versehentlich in den Fokus des Geheimdienstes geraten. Warum wäre das schlimm? Der Überwachte hätte ja nichts zu befürchten.
Unterlaufen dem Staat Pannen, kann sich das auf das ganze Leben auswirken. Es kann zu Personenverwechslungen kommen, man kann unschuldig in Strafverfahren verwickelt und verurteilt werden, zu Unrecht auf staatliche Empfehlung hin entlassen oder öffentlich blossgestellt werden. Ein konkretes Beispiel: Kantonale Polizeien suchen neuerdings im Internet nach Hooligans, die sich geprügelt haben. Diese Menschen werden ein Leben lang als Straftäter im Internet erscheinen. Das Recht auf Vergessen greift hier nicht. Die Konsequenzen sind weitreichender, als wenn man in den sozialen Medien Informationen von sich preisgibt. Es sind sich viele nicht bewusst, wie stark der Machtapparat des Staates sein kann.
Befürworter des Gesetzes erhoffen sich einen besseren Schutz vor Terroranschlägen. In der Schweiz ist das präventive Abhören von Telefongesprächen im Vergleich zu vielen anderen Ländern nicht erlaubt. Nehmen Sie nicht in Kauf, dass ein Terrorplan zu spät erkannt wird?
Bei strafbaren Vorbereitungshandlungen kann die Polizei schon heute auch präventiv vor einem Angriff Telefonabhörungen durchführen. Doch Terrorismus, so wie er heute praktiziert wird, lässt sich nicht generell abwehren. Die Sympathisanten radikaler Bewegungen wie dem Islamischen Staat kann man nicht zählen. Die oft psychisch gestörten Einzeltäter bekommen wir fast nie in den Griff. Ausserdem besteht die Gefahr, unschuldige Personen zu überwachen.
Wie meinen Sie das?
Das kann etwa aufgrund einer Personenverwechslung passieren oder aufgrund dessen, dass aus zweifelhaften Hinweisen falsche Personenprofile erstellt werden. Oder dadurch, dass der Terrorismus-Begriff sehr offen ist. Es ist vorstellbar, dass der Nachrichtendienst neu Gespräche in Wohnungen von Kurden abhört, nur weil die Türkei behauptet, PKK-Anhänger seien Terroristen.
Der Ex-Geheimdienstchef Peter Regli ist überzeugt, dass Attentäter, die in Gruppen agieren, mithilfe des neuen Gesetzes eher frühzeitig entdeckt werden können. Wie soll der Geheimdienst Informationen über Jihadisten sammeln, solange die präventive Überwachung nicht erlaubt ist?
Natürlich kann man mit einer strengeren Überwachung einiges erreichen. Aber das muss in Zusammenarbeit mit den Strafbehörden geschehen. Wir dürfen nicht vergessen: Die allermeisten Erfolge in der Terrorismusbekämpfung wurden in den letzten 40 Jahren von der Bundesanwaltschaft erzielt. Wenn wir dem Nachrichtendienst so viel Macht in die Hände geben, kann er machen, was er will, ohne dass die Strafbehörden davon etwas erhalten.
Sie befürchten, dass der Nachrichtendienst grössenwahnsinnig werden könnte?
Sagen wir es diplomatisch: Es ist nicht gut, wenn man sich nur noch mit sich selbst beschäftigt. Max Frisch hat die Gefahr in seinem letzten Buch treffend geschildert. Der Titel lautete: «Staatsschutz aus Ignoranz?» Heute gelten noch immer die gleichen Mechanismen, nur gibt es einfach neue Instrumente. Es gibt eine Klasse von Leuten, die die Nation retten wollen und durch absolute Geheimhaltung alles rechtfertigen. Wenn es in einem laufendem Prozess keine Reflexion und Kritik gibt, dann ist Ignoranz unvermeidlich.
Die gewichtete Sicherheitsumfrage von 20 Minuten hat gezeigt: 64 Prozent der Teilnehmer wären bereit, ein Stück ihrer Freiheit aufzugeben, damit ihre und die Sicherheit ihrer Familie erhöht wird. Wie soll man auf dieses Bedürfnis reagieren?
Es ist nachvollziehbar, dass dieses Bedürfnis besteht. Die Behörden müssen damit verhältnismässig umgehen.
Die Chancen für das neue Nachrichtendienstgesetz stehen gut. Die Zustimmung liegt gemäss der letzten Tamedia-Abstimmungsumfrage bei 59 Prozent. 37 Prozent lehnen das Gesetz ab. Wie können die Gegner das Ruder noch herumreissen?
Ich glaube auch, dass das Gesetz kommen wird. Das Entscheidende aber ist, dass im Abstimmungskampf klar wird, dass es sich um ein rechtsstaatlich sehr mangelhaftes Gesetz handelt. In zwei bis drei Jahren wird man es nachbessern müssen, weil wir damit vor den Gerichten oder in politischen Konflikten gegen die Wand laufen werden.
NDB soll Telefonate abhören
Am 25. September stimmen die Schweizer Stimmbürger über das Nachrichtendienstgesetz ab. Das Gesetz will das präventive Abhören von Telefonen, das Eindringen in Computer sowie das Verwanzen von Privaträumen unter bestimmten Bedingungen erlauben. Das neue Gesetz gibt laut Bund dem Nachrichtendienst «zeitgemässe Mittel zur Erkennung von Bedrohungen und zur Wahrung der Sicherheit». Die Chancen für das neue Nachrichtendienstgesetz stehen gut. Die Zustimmung liegt gemäss der letzten Tamedia-Abstimmungsumfrage bei 59 Prozent. 37 Prozent lehnen das Gesetz ab. dp