KlimastreikKlimaschüler fordern schul- und arbeitsfrei
Die Klimastreik-Bewegung peilt die grösste Demonstration seit 1991 an. Dafür fordern die Aktivisten schul- und arbeitsfrei.
«Make the earth cool again», «revolutionierä statt konsumierä», «Es ist fünf vor zwölf»: Mit solchen Parolen auf den Protestschildern demonstrierten am Samstag je nach Quelle zwischen 38'000 und 65'000 Menschen für mehr Klimaschutz. Dabei mobilisierte die Bewegung, die von Schülerinnen und Schülern getragen wird, dieses Mal auch Lernende, Eltern und Grosseltern. Zum internationalen Klimastreiktag am Freitag 15. März wollen die Schüler weiter Druck aufsetzen und rufen erneut zum schweizweiten Protest auf.
Das Ziel der hiesigen Klimakämpfer ist klar: «An der nächsten Demo gehen 100'000 Menschen auf die Strasse», so Marie-Claire Graf von der Klimabewegung Zürich. Dies würde bisherige Grossdemonstrationen – ausser den Frauenstreik 1991 – in den Schatten stellen (siehe Bildstrecke).
«Unsere Macht sind die Menschen»
Zwar verfügten die Aktivisten nicht über finanzielle Mittel, so Graf, aber: «Unsere Macht sind die Menschen.» Die ETH-Studentin beobachtet, dass der Funke von den Schülern bereits auf die Erwachsenen übergesprungen sei. «Wir haben als Jugendbewegung begonnen, aber wir wollen, dass der Klimawandel alle erreicht», sagt Graf. Mittels Social Media, Mund-zu-Mund-Propaganda sowie Plakaten und Bannern versuche man, die Menschen zu mobilisieren.
Dass der internationale Klimastreiktag an einem Freitag stattfinden wird, soll die Leute nicht daran hindern, an der Demo teilzunehmen, hofft Graf. Man sei in Kontakt mit den Schulleitungen und mit der Eidgenössischen Bildungskommission. «Es wäre super, wenn die Schüler frei bekämen oder an diesem Tag zumindest keine Prüfungen stattfinden würden», sagt Graf. Stattdessen könnten die Schüler etwa zu einem späteren Zeitpunkt einen Vortrag über den Klimawandel halten. Graf fordert auch Unternehmen dazu auf, ihren Angestellten am Freitag frei zu geben. Damit könnten diese signalisieren, wie wichtig auch ihnen das Anliegen sei.
Jonas Kampus von Klimastreik Schweiz betont, man habe sich kein Teilnehmer-Ziel gesetzt. Es gehe vorwiegend darum, international möglichst viele Menschen zu mobilisieren.
Arbeitgeber halten sich zurück
Die Arbeitgeber wiegeln angesichts dieser Forderungen ab. «Grundsätzlich begrüssen wir, dass sich Bürgerinnen und Bürger an der demokratischen Entscheidfindung beteiligen. Dazu gehören auch Demonstrationen», heisst es beim Schweizerischen Gewerbeverband. Es sei allerdings Sache der Unternehmungen, sich mit den Lernenden und Angestellten betreffend Absenzen zu einigen. «Mögliche betriebsindividuelle Lösungen sind Ferientag, Kompensation der Absenz, zeitliche Kurzabsenz. Der Verband gibt dazu keine Empfehlungen ab.»
Ist das Ziel von einer Demo mit 100'000 Menschen an einem Freitag zu hoch gegriffen? Christian Koller, Leiter des Schweizerischen Sozialarchivs und Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich, hält das Ziel der Klimastreikenden für realistisch. «Mit Trump als US-Präsident oder dem Absturz des CO2-Gesetzes im Schweizer Parlament ist bei vielen die Einsicht gereift, dass ohne Druck nichts passiert.» Für Koller sind die aktuellen Schweizer Klimastreiks die grösste Jugendbewegung der letzten Jahrzehnte. «Vergleichbar sind sie am ehesten noch mit den Anti-Irakkrieg-Demonstrationen, die ebenfalls international vernetzt waren.» Am 22. März 2004 protestierten rund 40'000 Menschen in Bern gegen einen Krieg im Irak.
Koller glaubt, dass der anhaltende Protest in der Politik Gehör finden wird. «Natürlich lassen sich SVP-Exponenten, die den Klimaschutz gänzlich ablehnen, nicht überzeugen.» Mit dem Druck der Strasse sei es aber künftig für bürgerliche Mittepolitiker kaum mehr möglich, Klimaziele im Inland ersatzlos zu streichen. «Der Aufschrei in der Bevölkerung wäre nach den aktuellen Klimademonstrationen riesig.»
SVP übt Kritik an den Forderungen der Klimaschüler
SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann dagegen gibt zu bedenken: «Selbst wenn 60'000 auf die Strasse gingen, sind immer noch 8,4 Millionen Menschen zu Hause geblieben.»
Zudem habe bei den Klimademonstrationen am Samstag
ohnehin nur das links-grüne Lager protestiert.
«Zu behaupten, die Politik unternehme nichts, trifft nicht zu. Sie befasst sich seit Jahren mit Umweltanliegen.» Es gebe keinen Bürgerlichen, dem das Thema egal sei, so Steinemann. «Die meisten Bürgerlichen setzen nicht einfach auf die Erhöhung des Benzin- und Heizölpreises, sondern auf technologischen Fortschritt.»
«Historischer Höhepunkt»
Stefan Rindlisbacher, der als Historiker an der Uni Fribourg zu sozialen Bewegungen forscht, hält die Klimastreiks für die grösste Jugenddemonstration der letzten Jahrzehnte. «Man muss schon in die 1980er-Jahre zurückgehen, um ähnliche Jugendproteste zu finden. In der Folge der «Globuskrawalle» demonstrierten Jugendliche vor allem in Zürich für autonome Jugendzentren. Die aktuellen Aktionen liessen sich aber auch in der Tradition der Umweltdemos verorten. «Sollten an der kommenden Veranstaltung 100'000 Menschen zusammenkommen, erreichen wir wohl für Schweizer Verhältnisse einen historischen Höhepunkt.»