Wie die SP zur Cüpli-Partei wurde

Aktualisiert

Arbeiterpartei ohne ArbeiterWie die SP zur Cüpli-Partei wurde

Die SP galt lange als Partei des kleinen Mannes. Heute besteht die Wählerschaft hauptsächlich aus Akademikern. Wie konnte das passieren?

von
Th. Bigliel
Ist bei den Arbeitern im Hoch: Die SVP legte in den 90er-Jahren bei den Tiefqualifizierten enorm zu. Sehr zum Leidwesen der SP, die ...  (Quelle: Benjamin Schlegel)
... im selben Zeitraum einen Zehntel ihrer Stammwählerschaft einbüsste. Dasselbe Bild zeigt sich bei den Mittelqualifizierten (Lehrabgänger/Maturanden). Auch hier ...  (Quelle: Benjamin Schlegel)
... sitzen die Sozialdemokraten auf dem absteigenden Ast. Selbst bei den hochqualifizierten Wählern (HF- und Hochschulabgänger) greift die SVP nach der Krone.  (Quelle: Benjamin Schlegel)
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Ist bei den Arbeitern im Hoch: Die SVP legte in den 90er-Jahren bei den Tiefqualifizierten enorm zu. Sehr zum Leidwesen der SP, die ... (Quelle: Benjamin Schlegel)

20min / selects

«Eine Schweiz für alle statt für wenige», mit diesem Motto steigt die SP in den Wahlkampf. Die kämpferischen Töne sind nötig, denn die Sozialdemokraten haben bei den Wahlen 2007 deutlich an Boden verloren. Auch in den kantonalen Parlamenten musste die Arbeiterpartei Federn lassen. Ein Trend, der sich auch eindrücklich in der Statistik niederschlägt.

Wählten 1970 mehr als ein Drittel aller Arbeiter links, waren es bei den letzten Nationalratswahlen nur noch 20,8 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den Wählern mit einer mittleren Bildung (Lehrabschlüsse/Matura). Hier verzeichnen die Genossen ein Minus von 1,2 Prozent.

Arbeiterpartei ohne Arbeiter

«Die SP ist zu einer Arbeiterpartei ohne Arbeiter geworden», fasst Sarah Bütikofer, Politologin an der Universität Zürich, die Entwicklung zusammen. Die Zahlen der Selects-Wahlforscher zeigen: Gerade bei der ursprünglichen Stammwählerschaft wird die Partei immer unbeliebter.

Bestand die Wählerschaft der SP in den 70er-Jahren noch mehrheitlich aus Arbeitern und Büroangestellten, sind es heute vor allem die Gut- und Besserverdienenden, die der SP ihre Stimme geben. Lachende Gewinnerin ist die SVP. Bei den letzten Nationalratswahlen wählte jeder zweite Arbeiter die Volkspartei.

SVP: Von der Bauern- zur Massenpartei

«Die eigentliche Trendwende kam in den 90er-Jahren», erklärt Bütikoffer. Davon habe vor allem auch die SVP profitiert, die im Gärtchen der Sozialdemokraten wilderte. Und dies überaus erfolgreich. Mit dem Nein zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verlor die SP 1992 nicht nur eine Abstimmung, sondern auch zusehends ihre Stammwählerschaft. Gleichzeitig begann der Aufstieg der SVP zur stärksten politischen Kraft. Das Nachsehen hatte die SP, die wegen ihrer europafreundlichen Haltung von den Arbeitern abgestraft wurde.

Dass die Genossen im Parlament die zweitgrösste Fraktion stellen, liegt laut Bütikoffer daran, dass die SP nach ihrer EWR-Schlappe neue Wählerschichten ansprechen konnte. «Heute wird die SP eher von Wählern unterstützt, die den oberen Bildungs- und Einkommensschichten angehören», so die Politologin.

«Mehr auf die Leute zugehen»

Die SP in der Hand von Cüpli-Sozialisten? «Sicher nicht», wehrt sich SP-Nationalrat und Fraktionschef Andy Tschümperlin. Der Schwyzer betont, dass sich die SP nach wie vor für die arbeitende Bevölkerung einsetzen würde. Andere Parteimitglieder sind selbstkritischer. «Wir müssen an unserer Kommunikation arbeiten», meint SP-Vizepräsidentin Barbara Gysi streng. «Es ist uns bewusst, dass wir bei den Arbeitern an Boden verloren haben», so Gysi. Die St. Gallerin will mit ihren Parteigenossen deshalb über die Bücher: «Wir müssen wieder mehr auf die Leute zugehen. Dazu gehört auch, dass wir unsere Inhalte besser vermitteln.»

Um die Vorherrschaft der SVP zu brechen, wollen die Sozialdemokraten deshalb auch verstärkt auf dem Land um Stimmen werben. «Wir wollen damit die Bevölkerung überzeugen, dass wir ihnen auch in den Agglomerationen eine dienstleistungsorientierte und familiennahe Politik bieten können», erklärt SP-Geschäftsleitungsmitglied David Roth. Ob sich die SVP die Agglo-Bewohner wieder abjagen lässt, wird sich zeigen. Spätestens im kommenden Wahljahr.

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