ZuwanderungDie AHV braucht mehr Ausländer
Die hohe Zuwanderung sorgt für Diskussionen um eine Begrenzung. Doch nicht nur die Schweizer Wirtschaft ist auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Auch die Sozialwerke profitieren.

Die zunehmende Überalterung der Schweizer Bevölkerung gefährdet die Sozialwerke und vergrössert die Nachfrage nach Pflegepersonal: Alterswohnheim in Genf.
Die Zuwanderungszahlen vom letzten Jahr, die der Bund am Montag veröffentlich hat, haben der Diskusison um eine Beschränkung der Personenfreizügigkeit neuen Auftrieb verliehen. Mit 51 886 Personen hat die die ausländische Wohnbevölkerung 2011 so stark zugenommen wie in den letzten 20 Jahren nur einmal: 2008 stieg die ausländische Wohnbevölkerung sogar um knapp 68 000 Personen. Solche Zahlen lösen bei vielen Schweizern Ängste aus. Dabei hat die Einwanderung auch positive Aspekte, insbesondere für die Sozialwerke. Das zeigen neue Berechnungen der Finanzverwaltung.
In den nächsten Jahrzehnten droht der Schweiz ein Milliardenloch. Laut der am Donnerstag veröffentlichten Langfristperspektive könnten sich die Staatsschulden bis 2060 verdreifachen. Um das zu verhindern, müsste die Schweiz jährlich rund 10 Milliarden Franken weniger ausgeben beziehungsweise mehr einnehmen. Die steigenden Ausgaben sind hauptsächlich auf die AHV zurückzuführen. Ab 2025 ist mit Problemen zu rechnen, da bis dahin die Generation der sogenannten Babyboomer - der geburtenreichen Jahrgänge bis Ende der 1960er-Jahre - in Pension gehen, sagt Philipp Rohr von der Eigenössischen Finanzverwaltung. «Dies führt zu Mehrausgaben im Gesundheitswesen und bei der Altersvorsorge.» Zusätzlich dürfte sich bis 2060 die Lebenserwartung um rund fünf Jahre erhöhen.
Weniger Staatsschulden dank Einwanderer
Im Kampf gegen die drohenden Staatsschulden hilft die Zuwanderung - bereits heute. So haben sich die Aussichten seit der letzten Langfristperspektive von 2008 verbessert, unter anderem wegen des Bevölkerungswachstums dank der Zuwanderung. Auch die Aussichten bis 2060 hängen stark von der Anzahl Einwanderer ab. Im Basisszenario rechnet die Finanzverwaltung im Durchschnitt mit jährlich 27 000 Immigranten. Kommen jedoch rund 40 000 Personen, verbessert sich die Schuldenquote deutlich: sie wäre etwa ein Drittel tiefer. Zwar löse die Zuwanderung die drohenden finanziellen Probleme nicht, sagt Rohr. «Eine höhere Zuwanderung schwächt jedoch die Problematik sicher ab.»
Diese positiven Aspekte streicht auch Thomas Daum, Direktor des Arbeitgeberverbands, heraus: «In der breiten Bevölkerung wird unterschätzt, wie wichtig die Zuwanderer für unsere Sozialwerke sind.» Mit der Personenfreizügigkeit kämen viele Ausländer mit hohen Einkommen in die Schweiz, sagt er. «Diese Zuwanderer leisten einen hohen Solidaritätsbeitrag an die AHV.» Denn wer mehr als 83 520 Franken verdient, muss sich später trotzdem mit der Maximalrente von 2320 Franken begnügen. Die Beiträge für das höhere Einkommen dienen der Finanzierung der AHV. Als weiteres Problem der demografischen Entwicklung sieht Daum den wachsende Bedarf an Pflegekräften. «Wenn die Babyboomer in Rente gehen, wollen sie gepflegt werden», sagt er. Aber gerade im Pflege- und Gesundheitsbereich sei die Schweiz schon heute von ausländischen Arbeitskräften abhängig.
«Zuwanderung ist Zeitbombe»
SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi zweifelt nicht an, dass die Zuwanderung grundsätzlich der AHV zugute kommt. Aber er glaubt nicht, dass während der nächsten Jahrzehnten jährlich bis zu 40 000 Personen einwandern. «Wenn die Zuwanderung stagniert, kommt es für die Sozialversicherungen zur Katastrophe.» Dies könne der Fall sein, wenn beispielsweise die Schweizer die Zuwanderung beschränken wolle - wie dies die Einwanderungsinitiative der SVP will. Oder wenn der Wohlstand in der Schweiz im Vergleich zu den anderen EU-Ländern nicht mehr so gross ist wie heute. Weiter führt Bortoluzzi an, dass auch die Einwanderer älter werden und irgendwann eine AHV-Rente beziehen. «Die Zuwanderung ist eine Zeitbombe.»