Höhere GrenzwerteÄrzte wollen Kinder vor Handystrahlen schützen
Im Parlament wächst der Druck, stärkere Mobilfunkmasten zuzulassen. Ärzte warnen vor Gesundheitsfolgen, besonders bei Kindern.
Das Schweizer Mobilfunknetz kommt durch den massiv angestiegenen Datenfluss ans Limit: Laut Anbieterangaben laufen bereits jetzt 6000 der insgesamt rund 15'000 Mobilfunkanlagen an der Grenze der zulässigen Strahlungswerte. Eine Motion der Fernmeldekommission fordert deshalb, die Grenzwerte umgehend zu erhöhen. Der Bundesrat empfiehlt die Motion zur Annahme, das Parlament muss darüber noch abstimmen.
Gegen diese Pläne laufen nun die Ärzte für Umweltschutz (Aefu) Sturm: «An der Öffentlichkeit vorbei wird im Parlament durch Lobby-Arbeit versucht, die Grenzwerte für Mobilfunkanlagen in der Schweiz zu erhöhen», sagt Aefu-Geschäftsleiter Martin Forter. Er warnt vor den Gefahren der Handystrahlung. Diese könnten die Hirnströme und die Gehirndurchblutung beeinflussen, die Spermienqualität reduzieren und Erbinformationen destabilisieren. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufe Handystrahlung als möglicherweise krebserregend ein. Deshalb fordert Forter: «Keine Erhöhung der Grenzwerte bei Mobilfunkanlagen.» Ungeborene, Säuglinge, Kinder und Jugendliche seien besonders gefährdet, weil Körper und Gehirn noch in Entwicklung begriffen seien.
Schädlichkeit nicht belegt
Der Bundesrat hat in einem Bericht von letztem Jahr festgehalten: «Der einzige für den Menschen schädliche Effekt von Mobilfunkstrahlung, der wissenschaftlich zweifelsfrei nachgewiesen ist, ist die Erwärmung des Körpergewebes infolge der Absorption der Strahlung.» Davor würden die aktuellen Grenzwerte für Handys schützen.
Für die «wesentlich schwächere» Belastung durch Mobilfunkantennen fehlten aussagekräftige Langzeituntersuchungen, laut WHO würden Studien bisher nicht auf ein erhöhtes Krebsrisiko hinweisen. Das beruhigt Forter nicht. «Es ist noch zu früh, um Entwarnung zu geben, heben wir nun die Grenzwerte an, gehen wir ein völlig unnötiges Risiko ein.»
Trotz fehlender Beweise: Laut einer Studie des Bundesamtes für Statistik schätzt etwas mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung die Strahlung von Mobilfunkantennen als gefährlich oder eher gefährlich ein. Der Bund rechnet deswegen mit «Opposition von Teilen der Bevölkerung», wolle man die Grenzwerte anheben.
«Netflix im Zug, aber bloss keine Antenne am Haus»
Auch in der Politik ist die Anhebung der Grenzwerte umstritten: «Wir haben zehnmal tiefere Grenzwerte als zum Beispiel Deutschland, und dort hat man ja auch noch keine Auswirkungen festgestellt» sagt FDP-Ständerat Ruedi Noser. Verglichen mit dem Ausland sei die geplante Anhebung also moderat.
Ohnehin sei Handystrahlung höchstens dann bedenklich, wenn man das Gerät zum Telefonieren lange ans Ohr halte. «Die Jungen schreiben jedoch eher Nachrichten und surfen im Internet, wo man das Gerät weiter vom Kopf entfernt hält.» Die Strahlungsintensität nehme dadurch exponentiell ab. Dass sich die Bevölkerung gegen Handymasten wehrt, versteht Noser nicht: «Einerseits will jeder im Zug Netflix schauen können, aber andererseits bloss keinen Funkmasten in der Nachbarschaft haben.»
Innovation statt Strahlung
Gegen stärker strahlende Mobilfunkantennen ist SP-Nationalrat Thomas Hardegger. «Anstatt die Grenzwerte zu erhöhen, sollen die Mobilfunkanbieter lieber zusammenarbeiten und ihre Antennen teilen, dann bräuchten wir auch keine Kapazitätserhöhung.» Zudem sollten die Mobilfunkanbieter innovative Möglichkeiten prüfen. «Wenn wir die Grenzwerte nicht anheben, werden die Antennenhersteller dazu motiviert, weniger stark strahlende Antennen mit hoher Leistung zu entwickeln, was nur im Sinne der Bevölkerung sein kann.» In St. Gallen würden zum Beispiel kleine Antennen im Boden getestet, die nicht so stark strahlen und trotzdem eine gute Abdeckung ermöglichen würden.