SchulsystemSt. Gallen will die Noten 1 und 2 abschaffen
Der sanktgallische Erziehungsrat schlägt eine neue Notenskala von 3 bis 6 für die Primar- und Oberstufe vor. Kritiker sehen eine Tendenz, «ja keine kritischen Aussagen» zu tätigen.

«Entweder werden die Lernziele erreicht oder nicht»: Das Zeugnis eines Zweitklässlers. (Symbolbild)
Keystone/Franco GrecoDer Kanton St. Gallen will die Noten 1 und die 2 aus dem Zeugnis verbannen. Wie die «Schweiz am Sonntag» berichtet, schlägt der Erziehungsrat in seinem neuen Beurteilungskonzept eine andere Notenskala vor. Neu sollen nur noch «die Ziffern 3, 4, 5 und 6 zur Verfügung stehen». Mit einer 6 werden die Lernziele übertroffen, mit einer 3 werden sie nicht erreicht – weitere Abstufungen nach unten gibt es nicht.
Ein einmaliges Konzept
Seit wenigen Tagen läuft die Konsultation. Brigitte Wiederkehr, stellvertretende Leiterin des Amtes für Volksschule im Kanton St. Gallen, bestätigt gegenüber der «Schweiz am Sonntag» , dass die Noten 1 und 2 in der Primar- und Oberstufe gestrichen werden sollen. Es mache keinen Sinn, ungenügende Leistungen weiter zu differenzieren, sagt sie. «Entweder werden die Lernziele erreicht oder nicht.»
Kompetenzen der Lehrer stärken
Laut Wiederkehr haben Noten nur eine begrenzte Aussagekraft, wenn sie mit weit zurückliegenden Leistungen verrechnet werden. Deshalb soll die Zeugnisnote in den Fächern nicht nur aus dem Durchschnitt aller Prüfungsnoten bestehen, sondern auch die mündlichen und praktischen Leistungen berücksichtigen. Das verhindert, dass mit einer Skala von 3 bis 6 die Noten automatisch besser werden.
Ziel sei es, die Kompetenzen der Lehrer zu stärken. «Sie wissen am besten, auf welchem Leistungsstand sich die Kinder befinden.» St. Gallen wäre mit einer Notenskala von 3 bis 6 Vorreiter. Der Kanton Thurgau diskutierte ebenfalls über die Abschaffung, entschied sich aber dagegen – auch weil die Emotionen hochkochten. Trotzdem könnten schon bald andere Kantone dem St. Galler Beispiel folgen.
«Schlechte Leistungen gehören schlecht benotet»
Mit dem neuen Lehrplan 21 rücken Kompetenzen ins Zentrum des Unterrichts, reines Faktenwissen reicht nicht mehr. Allerdings tun sich die Kantone schwer mit diesem Paradigmenwechsel. Schweizweit wird über neue Zeugnis-Modelle diskutiert.
Rolf Dubs, renommierter Pädagoge und emeritierter Professor der Universität St. Gallen (HSG), bleibt aber skeptisch. «Es ist wichtig, dass schlechte Leistungen auch als schlecht benotet werden», sagt er gegenüber der «Schweiz am Sonntag». Das St. Galler Modell zeige Mutlosigkeit und eine Tendenz, «ja keine kritischen Aussagen» zu tätigen. Zudem seien die klassischen Noten von 1 bis 6 stark in der Bevölkerung verankert und für alle verständlich.