Neuer TrendsportNacktwandern boomt – Appenzell sei Dank
So hat sich die Innerrhoder Regierung das bestimmt nicht vorgestellt: Ihr Vorhaben, Nacktwanderer zu büssen, beflügelt die Szene regelrecht. Die Medienberichte sorgen für mehr Zulauf und eine bessere Vernetzung der «Wanderer ohne Nix».
In genau 18 Tagen, am 26. April, stimmt die Landsgemeinde in Appenzell über die Revision des Übertretungsstrafgesetzes ab. Grosser Aufreger dabei: Das «Nacktwander-Gesetz». Die Appenzeller Behörden wollen damit eigentlich verhindern, dass sich hüllenlose Wanderer im Alpstein-Gebiet breitmachen. Der Schuss ging aber nach hinten los: Statt weniger werden es mehr Nacktwanderer - und nicht nur in Appenzell.
«Nacktwandern wird populärer und beliebter», sagt Puistola*. Zu verdanken sei dies nicht zuletzt den Appenzeller Behörden, wie der 54-Jährige sagt: «Die Einführung dieses umstrittenen Artikels sorgte medial für dermassen viel Interesse, dass das Nacktwandern bis ins letzte Tal bekannt ist.»
Er selbst ist dank der zahlreichen Medienberichte zum inoffiziellen Sprecher der Nacktwanderer geworden. Seit Wochen und Monaten vergeht kein Tag, an dem er nicht Anfragen von Medien erhält. «New York Times», «Time Magazine», «10vor10» – sie alle wollen exklusive Einblicke in die Szene und dazu mitwandern. «Ja, neuerdings kann man tatsächlich von einer Szene sprechen», sagt Puistola. Habe er Anfang Jahr gerade mal ein halbes Dutzend Nacktivisten in der Schweiz gekannt, seien es in zwischen bereits einige Dutzend. «Es ist immer noch keine Masse», sagt er, «aber es werden mehr.»
«Die Aktzeptanz des Nacktwanderns steigt»
Aber nicht nur das: Die Berichterstattung hat dazu geführt, dass sich die Szene besser vernetzt. Es melden sich vermehrt Interessenten in Nacktwander-Foren (siehe Links). Zudem seien langjährige Einzel-Wanderer auf Gleichgesinnte aufmerksam geworden. Puistola versucht diese zusammenzuführen und organisiert auch gemeinsame Touren.
Anfang März fand zum ersten Mal ein gemeinsamer Ausflug statt. «Wir hatten mehr als ein Dutzend Anmeldungen», so Puistola. Aufgrund des Wetters und eines kurzfristigen Routenwechsels seien letztlich aber nur fünf gekommen, darunter immerhin zwei jungfräuliche Nacktwanderer, wie Puistola nicht ohne Stolz sagt.
Die Popularität sorge auch bei den Angezogenen für Verständis. «Die Leute wissen plötzlich, worum es geht, wenn sie einem nackten Wanderer begegnen», ist Puistola überzeugt. Negative Rückmeldungen von «Textil-Wanderern» seien zuvor bereits selten gewesen, seit den Medienberichten sei aber gar kein böses Wort mehr gefallen. «Die Aktzeptanz des Nacktwanderns steigt», freut sich Puistola.
«Das Interesse am Nacktwandern ist absolut lächerlich»
Die Appenzeller Behörden sind ratlos. Sie scheinen die Geister, die sie riefen, nicht mehr loszuwerden. Das «Time Magazine» erklärte das Appenzell in ihrem Artikel zur Hochburg der Nacktwanderer.
Landesfähndrich Melchior Looser, der die Gesetzesänderung einbrachte aus Sorge über den Verfall der Sitten im Idyll, hat dafür gar kein Verständnis. Und auch über den Bericht der «New York Times» (NYT) war er alles andere als begeistert: «Ich verstehe nicht, warum nun auch international so ein grosser Wirbel darum gemacht wird», sagte er gegenüber 20 Minuten. Das Interesse am Thema Nacktwandern sei «sehr fragwürdig» und «absolut lächerlich». Den Lesern der NYT scheint das egal: Der Artikel war zwei Tage lang auf Platz eins der meistgelesenen Storys.
Keine Nacktwanderwege geplant
Trotz weltweitem Interesse und der steigenden Popularität in der Schweiz sind offizielle Nacktwanderwege kein Thema, wie Daniela Bär, Pressesverantwortliche von Schweiz Tourismus, auf Anfrage von 20 Minuten Online erklärte. «Der Nacktwander-Markt ist und bleibt eine Nische», sagt Bär. Über die weltweite Aufmerksamkeit freut man sich aber bei Schweiz Tourismus. Das Touristen wegen der «Blüttler» die Schweizer Berge meiden könnten, erwartet Bär nicht: «Die Nacktwanderer sind bestimmt kein Image-Schaden für die Schweiz.»
*Namen der Redaktion bekannt
«Nacktwanderungen finden überall statt»
Zwei «in der Schamgegend völlig enthaarte» Nacktwanderer haben letzten Freitag in den Churfirsten für Irritation gesorgt, berichtete der «Tages-Anzeiger» und spekulierte, dass die Nacktivisten westwärts in bussenlose Gefilde zögen. «Wir sind bestimmt nicht vor den Bussen geflüchtet», sagt Puistola. Er und Petrulo* seien vielmehr aufgrund der guten Bedingungen am Fusse der Churfirsten gewesen. Die Vorstellung, Nacktwanderer würden exklusiv in einem Gebiet wandern, sei aber sowieso abwegig. «Niemand läuft immer im gleichen Gebiet - auch wenn es so gut geeignet ist wie der Alpstein.» Für Puistola ist klar: «Wo es schöne Wandergebiete gibt, gibt es auch Nacktwanderer.» Entscheidend seien nicht Strafandrohungen, sondern schlicht das Wetter - egal, ob im Tessin, im Wallis, im Berner Oberland oder im Jura.