Exit feiert30 Jahre Begleitung in den Tod
Mit 60 000 Mitglieder hat die Sterbehilfeorganisation Exit mehr Zuspruch denn je. Doch das war nicht immer so. Der Verein feiert nach mehreren Zerreissproben in diesen Tagen sein 30-jähriges Bestehen.

Sterbewillige nehmen das Schlafmittel Pentobarbital ein.
Das Recht auf Selbstbestimmung - «im Leben und im Sterben» - steht im Zentrum der Sterbehilfeorganisation Exit. Dreissig Jahre nach seiner Gründung steht der Deutschschweizer Verein mit über 60 000 Mitgliedern gefestigt da. In der Vergangenheit hatte Exit dagegen manche Zerreissprobe zu bestehen.
Als Exit (Deutsche Schweiz) im April 1982 in Zürich von 69 Mitgliedern gegründet wurde, war Sterbehilfe längst kein Thema mehr, das nur bei Ärzten, Juristen oder Politikern für Diskussionen sorgte. Wesentlich dazu beigetragen hat der Zürcher Chefarzt Urs Haemmerli, der im Januar 1975 in die Schlagzeilen geriet.
Damals sah sich Haemmerli dem Vorwurf der vorsätzlichen Tötung ausgesetzt. Er hatte öffentlich bekannt, die passive Sterbehilfe zu unterstützen. Konkret verzichtete der Internist bei todkranken Patienten in der letzten Leidensphase auf lebensverlängernde Massnahmen, etwa mittels technischer Apparaturen.
Zwar stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren im folgenden Jahr ein, doch da hatte die sogenannte «Affäre Haemmerli» längst über die Landesgrenzen hinweg für grosses Aufsehen gesorgt. Mehrere politische Vorstösse im Nationalrat sowie eine Volksinitiative im Kanton Zürich waren die Folge. Vor allem aber rückte die Frage der Sterbehilfe für Todkranke ins öffentliche Bewusstsein.
Selbstbestimmung ermöglichen
Für Exit war das Selbstbestimmungsrecht der Patienten von Anfang an ein zentrales Anliegen. Dieses sollte gestärkt und damit der ärztlichen Entscheidungsgewalt entzogen werden.
Dabei stand die Organisation nicht auf verlorenem Posten, denn bereits in den 1980er Jahren stiess die Freitodhilfe in der Schweiz auf breite Zustimmung. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Exit leistete in mancher Hinsicht Pionierarbeit. So führte die Vereinigung die in den USA damals bereits bekannte Patientenverfügung in der Schweiz ein.
Darin legt eine Person verbindlich fest, wie der Arzt zu verfahren hat, sollte sie selbst nicht mehr in der Lage sein, den eigenen Willen zu äussern. Bis heute ist die Patientenverfügung das wichtigste Kriterium, um bei Exit Mitglied zu werden.
Freitodbegleitung seit 1985
Freitodbegleitungen führt Exit seit 1985 durch. Die Hilfe richtet sich an kranke Menschen, die noch im Besitz ihrer geistigen Kräfte sind, denen aufgrund ihres Krankheitsbildes aber möglicherweise ein sehr schmerzvoller Tod bevorsteht.
Die Sterbewilligen nehmen das starke Schlafmittel Natrium-Pentobarbital ein, das vom Arzt verschrieben wird. In der Regel macht dies der Hausarzt, der den Patienten bereits seit Jahren kennt.
Scheiden in den ersten Jahren jeweils weniger als ein halbes Dutzend Mitglieder auf diese Weise aus dem Leben, sind die Zahlen seither deutlich angestiegen. Im vergangenen Jahr gab es 305 Freitodbegleitungen.
«In 98 Prozent der Fälle scheiden die Sterbewilligen zu Hause, im eigenen Bett, aus dem Leben - umgeben von Familie und Freunden», sagt Exit-Vizepräsident Bernhard Sutter gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. In wenigen Fällen sterben die Menschen auch im Sterbezimmer von Exit.
Interne Spannungen
Zehn Jahre nach der Gründung hatte Exit bereits die Marke von 50 000 Mitgliedern erreicht. Intern kam es jedoch vermehrt zu Spannungen. Insbesondere die Bestellung des Vorstands führte an den jährlichen Generalversammlungen regelmässig zu heftigen Diskussionen. Der Verein geriet in eine chronische Krise, von Putschversuchen war die Rede.
Die schwelenden personelle Konflikte sowie sachliche Differenzen erreichten an der GV von 1998 einen Höhepunkt. Zahlreiche Mitglieder traten aus dem Verein aus, darunter Ludwig A. Minelli, der umgehend die Sterbehilfeorganisation Dignitas ins Leben rief.
Erst nach diesen Ereignissen steuerte Exit unter neuer Führung allmählich wieder in ruhigere Gewässer. Unter anderem wurde die Organisationsstruktur professionalisiert und der Vorstand verkleinert.
Heute hat Exit eine beeindruckende Grösse erreicht. Mit mehr als 60 000 Mitgliedern ist der Verein «so gross wie eine mittlere Bundesratspartei», wie Exit-Vizepräsident Bernhard Sutter sagt. Der Rückhalt in Bevölkerung und Politik sei «enorm».
Christliche Kritik
Kritik erwächst der Sterbehilfeorganisation bis heute in erster Linie aus christlichen Kreisen. «Das Leben ist ein Geschenk Gottes, das man nicht wegwirft», sagte unlängst der Luzerner alt Nationalrat Pius Segmüller (CVP) an einer Podiumsdiskussion in Zürich.
Wie breit die Zustimmung - zumindest in urbanen Gebieten - ist, zeigte sich im Mai 2011 im Kanton Zürich: 84,5 Prozent der Stimmberechtigten lehnten damals eine Volksinitiative der EDU ab, die verlangte, jede Art der Sterbehilfe unter Strafe zu stellen.
Diese Abstimmung sowie den Entscheid des Bundesrates im vergangenen Jahr, auf eine stärkere Reglementierung der Sterbe- und Suizidhilfe zu verzichten, wertet Sutter als grossen Lobbyingerfolg. Nun sei erst einmal «konsolidieren angesagt»: Exit wachse stark, darum müssten erst die nötigen Personalressourcen geschaffen werden, um auch in Zukunft «Hilfeleistungen auf höchstem Niveau» erbringen zu können.
Auf eidgenössischer Ebene ungelöst ist die Frage, ob Suizidbeihilfe in Kranken- und Altersheimen gestattet ist. In zahlreichen Kantonen richtet man sich heute nach der seit 2001 in der Stadt Zürich geltenden Regelung, wonach Sterbehilfe in Heimen unter gewissen Auflagen gestattet wird.
Nicht jeder kann mit Exit sterben
Damit jemand Suizidbeihilfe von Exit in Anspruch nehmen kann, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein, wie der Vizepräsident des Vereins, Bernhard Sutter sagt. Dazu zählen eine hoffnungslose Prognose, unerträgliche Beschwerden oder eine unzumutbare Behinderung.
Die mit Abstand häufigste Diagnose ist Krebs, gefolgt von anderen schweren Erkrankungen. Der Wunsch zu sterben könne auch aufkommen, wenn ein Patient oder eine Patientin an mehreren Krankheiten leidet (Polymorbidität). Diese sind möglicherweise nicht unmittelbar tödlich, können aber in der Summe unerträgliches Leiden verursachen.
«Gesunde begleitet Exit nicht», betont Sutter. Dasselbe gelte für Menschen, die sich in einer akuten psychischen Krise befinden. Die erkrankte Person muss zudem in der Schweiz wohnhaft sein. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur Organisation Dignitas, die auch Sterbewillige aus dem Ausland auf dem Weg in den Tod unterstützt.
Bei ihrer Tätigkeit berufen sich die Sterbehilfeorganisationen Exit und Dignitas auf Artikel 115 des Schweizerischen Strafgesetzbuches. Dieser verbietet Hilfe zum Suizid nicht, solange keine «selbstsüchtigen Beweggründe» bestehen.
Publikumstag bei Exit
Das 30-Jahr-Jubiläum begeht die Sterbehilfeorganisation Exit mit verschiedenen Veranstaltungen. Höhepunkt ist die Generalversammlung mit anschliessendem Festakt am 16. Juni in Zürich-Oerlikon. Tags zuvor findet am selben Ort ein Anlass für die Öffentlichkeit statt.
Zum Publikumstag vom 15. Juni mit dem Titel «Alles über das Lebensende und die Sterbehilfe» erwartet Exit namhafte internationale Referenten - Befürworter wie Gegner. Den Abschluss bildet die Rede von Bundesrätin Simonetta Sommaruga zum Thema «Wie viel Selbstbestimmung am Lebensende? Das Schweizer Modell».
Anlässlich des 30-Jahr-Jubiläums von Exit findet der diesjährige Weltkongress der «Right-to-Die Societies» in Zürich statt. Vom 13. bis 18. Juni treffen sich mehr als 55 Sterbehilfeorganisationen aus über 45 Ländern, um über gemeinsame Anliegen zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen.