Das erwartet Flüchtlinge mit dem neuen Asylgesetz

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VergleichDas erwartet Flüchtlinge mit dem neuen Asylgesetz

Was verändert sich für einen Flüchtling mit dem neuen Asylgesetz? 20 Minuten zeigt die verschiedenen Stationen anhand eines fiktiven Beispiels auf.

von
P. Michel

In seinem Heimatland Afghanistan fühlt sich der 24-jährige Hamid* nicht mehr sicher. Das Erstarken der islamistischen Taliban, die Hamids Heimatdorf im Osten des Landes terrorisieren, verunmöglichen ihm, weiter als Taxifahrer zu arbeiten – zu gross ist die Angst, Opfer eines Anschlags zu werden. Hamid beschliesst, sein Land zu verlassen. Mit Schleppern gelangt er über die Mittelmeer-Route in die Schweiz. Hier will er Asyl beantragen. Was erwartet ihn heute und wie sähe sein Schicksal mit dem neuen Asylgesetz aus, über das die Schweiz am 5. Juni abstimmt?

• Aktuelles Asylgesetz

Hamid kommt über die Mittelmeer-Route nach Italien und gelangt im Tessin über die Grenze in die Schweiz. Von Grenzwächtern aufgegriffen, stellt er noch auf dem Polizeiposten einen Asylantrag. Er kommt in eines der sechs Empfangs- und Verfahrenszentren (EVZ) des Bundes. Hamid wird dem Zentrum in Chiasso zugeteilt. Dort erfolgt eine ärztliche Untersuchung und Beamte führen eine erste Befragung zu Identität, Herkunft und Lebensumständen durch. Ebenfalls wird ein Fingerabdruckvergleich mit der europäischen Datenbank vorgenomnen, um herauszufinden, ob ein anderes Land für die Behandlung seines Asylgesuchs zuständig ist. Da Hamid noch in keinem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt hat, entscheidet der Bund, sein Gesuch inhaltlich zu prüfen.

Nach der Erstbefragung im EVZ weist der Bund Hamid einem kantonalen Asylzentrum zu – etwa eines im Tessin. Dort wartet Hamid auf die Vorladung des Staatssekretariats für Migration. Damit sein Gesuch bearbeitet werden kann, muss er nach Bern reisen, um seine Asylgründe vorzulegen. Danach kehrt Hamid wieder zurück und wartet auf den Entscheid. Eine Rechtsberatung kann er zwar in Anspruch nehmen, muss jedoch selber dafür aktiv werden. Wäre Hamid minderjährig, hätte er Anspruch auf einen Beistand während des Verfahrens.

Den Entscheid des Staatssekretariats für Migration erhält Hamid per Post zugestellt. Würde er abgewiesen und seine Asylgründe nicht anerkannt, würde der zuständige Kanton die Wegweisung einleiten. Fällt der Entscheid positiv aus oder wird eine vorläufige Aufnahme entschieden, stehen Hamid die Türen zu Integrationsprogrammen und einer Arbeitsstelle offen. Bis er einen Entscheid für das Asylgesuch erhält, kann es mehrere Jahre dauern.

• Neues Asylgesetz bei einer Annahme der Asylgesetzrevision

Reist Hamid nach der Annahme der Asylgesetzrevision in die Schweiz ein, würde er wohl ins Bundesasylzentrum Chiasso verwiesen, eines von sechs Bundeszentren. Neben den ersten Untersuchungen wie einer ärztlichen Untersuchung, einer Erstbefragung und der Erfassung der Fingerabdrücke unternimmt der Bund bereits hier eine Unterteilung: Hätte Hamid schon einmal ein Gesuch in einem anderen Dublin-Staat gestellt, bliebe er im Bundeszentrum, bis klar ist, ob er dorthin zurückgeschickt wird. Dieses Verfahren soll laut dem Staatssekretariat höchstens noch 140 Tage bis zur Ausreise dauern. Wer seine Asylgründe wie Hamid bereits glaubhaft darlegen kann, kommt in ein sogenanntes beschleunigtes Verfahren. In diesem will der Bund innert hundert Tagen entscheiden, ob Hamid bleiben kann oder nicht. Während dieses ganzen Prozesses wartet er nicht im kantonalen Asylzentrum, sondern im Bundeszentrum auf den Entscheid.

Zusätzlich stellt der Bund Hamid ab dem ersten Tag im Bundesasylzentrum einen Rechtsvertreter zur Seite. Ebenfalls soll die ganze Asyl-Infrastruktur dort untergebracht werden: Befrager, Rückkehrberater, Übersetzer, Dokumentenprüfer und Rechtsvertreter. Laut dem Bund soll diese Bündelung dazu führen, dass die Asylanträge 40 Prozent schneller bearbeitet werden können. Ebenfalls steht Hamid ein «Chancenberater» zur Seite: Dieser klärt ihn darüber auf, wie gross die Chancen seines Asylantrags sind. Damit will der Bund verhindern, dass bei den Asylbewerbern falsche Erwartungen geweckt werden und sie die «Entscheide besser verstehen und akzeptieren». Dabei beruft sich das Staatssekretariat für Migration auf die Ergebnisse aus dem Testbetrieb, in dem die beschleunigten Verfahren evaluiert wurden: Die Beschwerdequote sei durch die anwesenden Berater um 30 Prozent tiefer als im regulären Betrieb.

Der Bund teilt Hamid jetzt den Entscheid im Bundeszentrum mit. Würden Hamids Asylgründe nicht anerkannt, wäre jedoch weiterhin der Standortkanton des Bundeszentrums für seine Wegweisung zuständig. Bei Flüchtlingen aus Afghanistan ist eine Rückweisung laut dem Bundesverwaltungsgericht derzeit nur zumutbar, wenn Hamid ein tragfähiges soziales Netz und eine gesicherte Wohnsituation in einer sicheren Region im Heimatland vorfinden würde. Erteilt der Bund Hamid einen positiven Bescheid, ist der Kanton für seine Unterbringung zuständig, wo er – wie in der heutigen Praxis – damit beginnen kann, eine Arbeitsstelle zu finden oder an Integrationsprogrammen teilzunehmen.

«Asylbewerber tauchen einfach unter»

Für den Bund liegen die Vorteile der Asylgesetzrevision und besonders der beschleunigten Verfahren auf der Hand: «Die Beschleunigung ist auch eine Chance für die Integration: Wer rasch weiss, ob er im Land bleiben kann, kann sich schneller integrieren», erklärt Martin Reichlin vom Staatssekretariat für Migration. SVP-Asylchef Andreas Glarner kontert: «Es tauchen ganz einfach dreimal mehr Asylbewerber unter, und niemand weiss, wo sie nun sind.»

Auch die Tatsache, dass die Verfahren fast ausschliesslich in den Bundeszentren abgewickelt werden, hat laut dem Bund Vorteile: «Rasche Verfahren, kurze Fristen und alle Beteiligten unter einem Dach – das verkürzt die Verfahren um fast 40 Prozent», sagt Reichlin. Ebenfalls könne man auch Asylsuchenden, die wenig Chancen auf Asyl hätten, schneller klarmachen, dass sie nicht auf eine Aufnahme hoffen sollen und eine freiwillige Rückkehr die besser Option ist.»

An diese aufklärerische Wirkung glaubt Glarner hingegen nicht: «Die Erfahrungen in Holland zeigen das Gegenteil: Dort werden 90 Prozent der Entscheide weitergezogen. Es wird also noch länger dauern als heute und darum noch viel teurer werden.»

* fiktives Beispiel.

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