AnalyseDie Ostschweizer sind die Jammeri vom Dienst
Egal ob bei der Grenzwache, der Bahn oder dem Bundesrat: Die Ostschweiz fühlt sich vernachlässigt. Politiker tun dies auf allen Kanälen kund.
Seit den Rücktritten von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und SVP-Präsident Toni Brunner hat die Ostschweiz im Bundesstaat nicht mehr viel zu melden: Sie stellt derzeit keinen Bundesrat, keinen Parteipräsidenten, keinen Fraktionschef und auch keinen Präsidenten der eidgenössischen Räte.
Dass keine Ostschweizer an den Schalthebeln der Macht sitzen, scheint nicht ohne Folgen zu bleiben. Die Ständevertreter beklagen in regelmässigen Abständen, die Ostschweiz werde übergangen. Jüngstes Beispiel: In einem Vorstoss fordert FDP-Nationalrat Walter Müller, dass die Vernachlässigung der Grenzwache in der Ostschweiz ein Ende nehmen müsse, um den boomenden Einbruchstourismus von jenseits der Grenze zu bekämpfen.
Die Ostschweiz «abgehängt»
«Es ist eine Tatsache, dass die Ostschweiz nicht eben privilegiert behandelt wird», sagt Müller. Er beobachte eine starke Machtverschiebung in Richtung Bern und Westschweiz. Die Tendenz habe sich «mit fünf Burgundern im Bundesrat» noch akzentuiert.
Resultat der Machtverhältnisse sei, dass die Ostschweiz abgehängt werde. Zum Beispiel gelte sie im Raumplanungskonzept des Bundes nicht als Metropolitanregion, weshalb Ausbauprojekte von Bahn und Strasse auf der Strecke blieben. Müller sagt, er wolle nicht nur jammern. «Wir müssen unsere Reihen schliessen und viel strategischer vorgehen – früher lobbyieren und unsere Leute in gute Positionen bringen.» Die Ostschweizer Kantone seien zu brav und müssten fordernder auftreten.
«Die Schweiz feiert den Gotthard – wir bekommen gar nichts»
SVP-Nationalrat Lukas Reimann pflichtet Müller bei: «Es mag sein, dass wir jammern. Das ist aber auch berechtigt, denn die Ostschweiz kommt eindeutig zu kurz.» Als Beispiele nennt der St. Galler das Poststellennetz oder den Bahnverkehr: «Während die Schweiz den Gotthard feiert, bekommen wir gar nichts.» Das Angebot stagniere oder es würden gar Züge gestrichen.
Ein Grund dafür sei tatsächlich, dass Ostschweizer in Bern keine einflussreichen Posten bekleideten, insbesondere nicht in der Bundesverwaltung. «Hier müssen wir uns auch ein wenig selbst an der Nase nehmen. Für viele ist Bern zu weit weg.» In der Ostschweiz gelte immer noch vielerorts das Motto «bundesfern und praxisnah».
Auch der St. Galler SP-Ständerat Paul Rechsteiner sagt, die Ostschweiz sei aus der Perspektive von Bern am Rand. Dabei habe die Bodenseeregion als Industrieraum enormes Potenzial. Aufholbedarf sieht er unter anderem im Bahnangebot. «Es braucht Zeit, um zu vermitteln, dass die Schweiz nicht in Winterthur aufhört.»
Gejammert wird auch in anderen Landesteilen
Politologe Georg Lutz hat ein gewisses Verständnis für die Klagen: «Es wäre besser, wenn alle Regionen in höheren Ämtern repräsentiert wären.» Allerdings sei die Ostschweiz mit den Bundesräten Hans-Rudolf Merz, Ruth Metzler oder auch Eveline Widmer-Schlumpf lange gut vertreten gewesen.
«Es handelt sich nur um eine Momentaufnahme. Ich sehe keine Anzeichen für eine systematische Diskriminierung der Ostschweiz.» Politische Entscheide auf Bundesebene würden nicht allein aus regionalen Interessen gefällt. Ähnliche Klagen gebe es zudem auch in anderen Landesteilen – etwa im Tessin oder der Region Basel. «Das Gejammer ist beinahe austauschbar.»

Herr Würth*, Ostschweizer sind im Bundesstaat Nebendarsteller. Ein Problem?
Beni Würth (CVP): Natürlich ist es nicht gut, dass wir in den höheren Chargen untervertreten sind. Über längere Zeit gleicht sich das aber wieder aus. Wir dürfen den Kopf deswegen nicht in den Sand stecken.
Ist das Gejammer der Ostschweiz berechtigt?
Auf der Basis von jammern lässt sich keine erfolgreiche Politik machen. Wichtig ist, dass Leute aus der Region bereitstehen, wenn es Vakanzen gibt.
Beklagt wird, die Ostschweiz werde etwa bei der Bahn vernachlässigt.
Im Bahnausbau konnten wir in den letzten 15 Jahren viele Projekte realisieren. Damit das auch in Zukunft gelingt, braucht es noch intensivere Lobby-Arbeit – so lässt sich die Untervertretung kompensieren.
* Beni Würth ist St. Galler Finanzdirektor und Präsident der Ostschweizer Regierungskonferenz