Tamedia-NachbefragungViele Hausfrauen sind für das Grundeinkommen
Wer hat am Sonntag wie gestimmt? Die Tamedia-Nachbefragung mit 13'000 Teilnehmern zeigt es.
Wäre es nur nach den Wählern der Grünen gegangen, wäre den Grundeinkommen-Initianten am Sonntag die Revolution geglückt: 54 Prozent von ihnen haben ein Ja eingelegt, wie die Tamedia-Nachbefragung mit rund 13'000 Teilnehmern zeigt. Auch bei den SP-Wählern war die Zustimmung mit 43 Prozent hoch. Am wenigsten konnten freisinnige Stimmbürger mit der Idee anfangen, nur acht Prozent von ihnen votierten dafür. In der Stadt (31% Ja) fand das Anliegen im Schnitt zehn Prozent mehr Unterstützung als auf dem Land oder in der Agglomeration.
Bemerkenswerte Unterschiede zeigen sich je nach Jobsituation: Am höchsten fielen die Sympathien für das Anliegen bei Arbeitslosen aus (45% Ja). Auch Teilzeitarbeitende sowie Hausfrauen und -männer stimmten überdurchschnittlich oft für die Initiative (30 respektive 29% Ja). Während Pensionierte das Begehren deutlich verwarfen, fand es in der Altersgruppe der 35- bis 49-Jährigen am meisten Zuspruch.
Die Daten decken sich mit den Beobachtungen von Soziologieprofessor Ueli Mäder. Der erklärte Befürworter des Grundeinkommens sagt, in unserer Gesellschaft bestehe eine «sehr einseitige Orientierung in Richtung Erwerbsarbeit». «Wer den Ansprüchen des Arbeitsmarkts nicht genügt, wird stigmatisiert und steht schnell im Abseits.» Ja stimmende Arbeitslose und Hausfrauen hätten sich vom bedingungslosen Grundeinkommen wohl eine andere Weichenstellung erhofft. «Teilzeitarbeitende erleben zudem schon heute, wie sinnstiftend ein Engagement sein kann, das nicht nur auf den Job ausgerichtet ist.» Bei ihnen dürfte der Wunsch im Vordergrund gestanden sein, auch anderen Menschen ein solches Leben zu ermöglichen, sagt Mäder.
ÖV-Nutzer gegen Service-public-Initiative
Auch bei den anderen Abstimmungen vom Sonntag zeigen sich Unterschiede je nach Bevölkerungsgruppe. Junge, gut Ausgebildete und gut Verdienende stimmten am häufigsten für das neue Asylgesetz. 70 Prozent der 18- bis 34-Jährigen stimmten dafür. Wer einen Uni- oder Fachhochschulabschluss in der Tasche hat, legte gar mit 83-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein Ja zur Revision ein. Auch das Vertrauen in den Bundesrat beeinflusste das Stimmverhalten stark.
Umgekehrt verhält es sich bei der Milchkuh-Initiative. Nur 18 Prozent der Akademiker stimmten für das Anliegen, das alle Einnahmen der Mineralölsteuer wieder in die Strasse investieren wollte. Bei Personen mit einer abgeschlossenen Berufslehre sagten 34 Prozent Ja. Nicht nur linke Stimmbürger verwarfen die Initiative, auch CVP- und FDP-Wähler votierten grossmehrheitlich dagegen. Die Politologen Lucas Leemann und Fabio Wasserfallen, die die Umfrage im Auftrag der Tamedia durchgeführt haben, sehen darin einen Hauptgrund für das schlechte Abschneiden der Initiative.
Die Service-public-Initiative schliesslich fand bei den SVP-Wählern mit 48 Prozent Ja-Stimmen die höchste Zustimmung. Ältere Stimmbürger waren eher dafür als Junge. Interessant: Personen, die den ÖV selten benützen, stimmten eher Ja als regelmässige Pendler. 73 Prozent der Personen, die täglich mit Bus, Tram oder Bahn unterwegs sind, sagten Nein. Umgekehrt fand die Milchkuh-Initiative auch bei Bürgern, die täglich Autofahren, keine Mehrheit.
Tamedia-Nachbefragung
13'052 Personen aus der ganzen Schweiz haben vom 3. bis zum 5. Juni an der Nachbefragung zu den eidgenössischen Abstimmungen teilgenommen. Die Politologen Fabio Wasserfallen und Lucas Leemann haben die bereinigten Daten nach demografischen, demografischen und politischen Variablen gewichtet. Der Stichprobefehler beträgt 2,1 Prozentpunkte. (jbu)