App-SuchtQuizduell statt Sex: Handys sind Beziehungskiller
Noch eine Runde «Quizduell» spielen, E-Mails checken, eine WhatsApp-Nachricht senden: Das Handy ist bald der grössere Beziehungskiller als jede Affäre.

«Suchten» statt kuscheln: Und statt der Zigarette danach greift jeder Fünfte nach dem Sex zum Handy.
Schon beim Frühstück fängts an: Sie war extra beim Beck und hat Gipfeli geholt. Er aber starrt gebannt aufs Handy, weil er wissen will, was seine Freunde in den letzten zehn Stunden alles erlebt und auf Facebook gepostet haben. Sie resigniert und checkt dann halt mal ihre Arbeits-Mails. Schliesslich hat man ja auch am Abend noch Zeit für traute Zweisamkeit.
Abends beim Italiener bei Kerzenlicht. «Ping». «Quizduell» fordert zum Spielen auf: «Welche Art von Spiel ist ‹Mortal Kombat›?» Er sagt: «Nur noch diese Runde Schatz, ich bin gleich fertig.» Das Essen kommt. Sie sagt: «Wie lecker das aussieht. Ich mach nur kurz ein Foto und schick Mama eine WhatsApp-Nachricht.»
Der Tag neigt sich dem Ende zu, man legt sich ins Bett und kuschelt – bis ihr Handy piepst und sie noch unbedingt wissen will, wer ihr da noch geschrieben hat. Er nervt sich und spielt dann halt noch eine Runde «Angry Birds». Dann versöhnen sie sich und ja, vielleicht kommt es noch zum Sex. Das ist ja bekanntlich noch eine handyfreie Zone. Danach aber folgt nicht die berühmte Zigarette, sondern – wen wunderts – noch ein letzter Blick auf die kleine Maschine. Das macht gemäss einer amerikanischen Studie immerhin jeder Fünfte.
Wie in einer Dreiecks-Beziehung
«Handys sind regelrechte Beziehungskiller», sagt Paartherapeut Klaus Heer. Immer mehr Paare suchen bei ihm Hilfe, weil sich ein Partner wegen der Handysucht des anderen vernachlässigt fühlt. «Viele haben das Gefühl, sie lebten in einer Dreiecksbeziehung», sagt Heer. Permanent sei ein Dritter dabei – im Bett, am Tisch, in den Ferien. «Die Liebesenergie wandert aufs Handy ab.» Dabei sei Zeit der unersetzliche Rohstoff für die Liebe. «Investiert man seine Zeit ins Smartphone, statt in den Partner, erodiert die Liebe.»
«Affären kann man nicht nur mit einem Geliebten haben, sondern auch mit dem Job, Sport oder eben auch mit seinem Handy», sagt Paarcoach Norina Bräm Wolf. Man könne auch Eifersucht gegenüber einem Handy empfinden, denn dieses Gefühl entstehe aus einem Mangel – in diesem Fall aus einem Mangel an Beachtung. Tatsächlich zeigte eine repräsentative Umfrage von TNS Emnis im Auftrag des Energieversorgers Eon: Knapp 40 Prozent der unter 30-Jährigen in Deutschland sind vor allem eifersüchtig auf die Zeit, die ihr Partner mit dem technischen Spielzeug verbringt.
Nur eine Reizquelle reicht nicht mehr aus
Auch Bräm behandelt zunehmend Paare mit Handyproblemen. Kürzlich hat sie ein Paar betreut, das sogar während der Beratung nur via WhatsApp kommunizierte. Bräm glaubt, dass die Propagierung des Multitasking mitschuldig ist an dieser Entwicklung. «Viele haben das Gefühl, dass sie alles gleichzeitig machen können: vor dem TV sitzen, mit der Kollegin schreiben und mit dem Partner ein Gespräch führen.» Multitasking habe dazu geführt, dass eine einzelne Reizquelle heutzutage nicht mehr ausreiche. «Wir langweilen uns extrem schnell. Wenn es nicht mehr spannend ist, dann hören wir einfach damit auf.» Das Handy sei ein äusserst bequemes Instrument: «Ohne viel zu investieren, wird einem sehr viel geboten. Ich kann die Befriedigung ohne Vorarbeit sofort abrufen.» In einer Beziehung aber, gehe das natürlich nicht. «Man hat verlernt durch die Kommunikation mit seinem Partner die gleiche Spannung zu erzeugen, wie mit seinem Handy.»
«Divorce Your Phone»-Bewegung
Damit das Handy nicht zum Beziehungskiller wird, rät Heer, gemeinsam Regeln zu erfinden. «Ein Handyverbot am Tisch kann sich aufdrängen. Auch das Schlafzimmer erklärt man mit Vorteil zur handyfreien Zone.» Die neuen Regeln müssten schriftlich festgehalten werden, wie in einem Vertrag. Mit Unterschrift. Heer: «Das schafft Klarheit in der Abmachung und ist verbindlicher als ein mündliches Versprechen.»
Auffallend sei allerdings, wie uneinsichtig die Betroffenen oft seien, stellt Heer fest: «Ein Raucher weiss, dass er süchtig ist. Ein exzessiver Handygebrauch dagegen wird als harmlos abgetan.» Das mache eine notwendige Veränderung fast unmöglich.
Zu einem radikalen Schritt rät Pastor Jarrid Wilson. Der Amerikaner hat sich entschieden, sich von seinem iPhone 5 scheiden zu lassen, um seine Ehe zu retten. «Mein iPhone ist extrem clever, lustig, zuverlässig und informiert mich über die neusten Trends», schreibt er. Aber es vergifte seine Ehe. «Dabei verdient es meine Frau, die Nummer eins in meinem Leben zu sein.» Alle Menschen seien in einer gewissen Art und Weise mit ihrem Handy verheiratet, sagt Wilson. Dagegen will er ankämpfen und hat dafür die «Divorce Your Phone»-Bewegung ins Leben gerufen.
Das Phänomen wird im Youtube-Video "I Forgot My Phone2 auf die Schippe genommen.