«Das wäre TV wie im letzten Jahrtausend»

Aktualisiert

Catchup-TV-Verbot«Das wäre TV wie im letzten Jahrtausend»

Die SRG fürchtet um ihre Werbeeinnahmen und will ein Verbot für zeitversetztes Fernsehen, Catchup- oder Replay-TV. Für die Idee hagelt es von allen Seiten Kritik.

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Zeitversetzt fernsehen: Der SRG ist das ein Dorn im Auge.

Zeitversetzt fernsehen: Der SRG ist das ein Dorn im Auge.

Heimkommen, Fernseher anschalten und erst mal schauen, welche Sendungen man verpasst hat. In der Schweiz können die Zuschauer dank liberaler Gesetze frei wählen, ob sie eine Sendung dann schauen wollen, wenn der Sender sie ausstrahlt oder erst Stunden bis Tage später. Diese Art des TV-Konsums heisst je nach Anbieter Catchup-, Replay- oder Comeback-TV. Sie wird mittlerweile nicht nur online, sondern auch am Fernseher ermöglicht. Geht es nach der SRG, soll damit aber offenbar Schluss sein. Der Konzern hat im Rahmen der bundesrätlichen Arbeitsgruppe Agur12 zur Weiterentwicklung des Urheberrechts einen Antrag eingereicht, wonach das Speichern von Programminhalten auf «virtuellen Videorekordern» verboten werden solle, schreibt die «Schweiz am Sonntag». «Die SRG finanziert sich zu einem Viertel über Werbeeinnahmen», wird SRG-Sprecher Iso Rechsteiner im Artikel zitiert. Catchup-TV gefährde diese Einnahmen, weil die Catchup-TV-Nutzer die Werbung überspringen würden, begründet er das Ansinnen.

Gegen dieses hagelt es Kritik, wie Recherchen von 20 Minuten zeigen. «Das wäre ein extremer Rückschritt», sagt Ralf Beyeler, Telecom-Experte des Vergleichsportals Comparis. Bereits, dass nach neuer Regelung nur noch Sendungen der letzten sieben Tage angeschaut werden können, sei für den User ein unangenehmer Kompromiss. «Eine geringere Zeitspanne oder gar ein Verbot wäre eine unzumutbare Bevormundung der Zuschauer.» Wenn die SRG nicht bereit sei, Inhalte zeitgemäss anzubieten, müsse man überlegen, die Billag-Gebühren komplett abzuschaffen. Diese Meinung teilt Pascal Gloor, Vizepräsident der Piratenpartei. «Es ist nicht die Rolle eines Staatssenders, so gewinnorientiert zu handeln. Schliesslich bekommt der Konzern zwei Milliarden Billag-Gebühren pro Jahr von den Zuschauern.» TV ohne Replay-Funktion sei ein Rückschritt ins letzte Jahrtausend. «Damals hatten die Urheber noch die volle Kontrolle. Doch die Entwicklung ist rasant vorangegangen und lässt sich nicht aufhalten.»

Anbieter würden Verbot bekämpfen

Der SP-Nationalrat und ehemalige TV-Journalist Matthias Aebischer versteht die Bedenken verschiedenster Player, so auch die der SRG. Er sagt jedoch: «Die Entwicklung geht zurzeit so schnell voran, dass wir wohl bereits in fünf Jahren rückblickend über die Art staunen, wie wir heute fernsehen.» Für Betriebe wie die SRG sei eine solche Umbruchphase besonders schwierig, so der Präsident der Kulturkommission des Nationalrats. Jetzt nationale Regelungen zu erlassen sei sehr ambitiös. Diese müssten wohl mindestens mit der EU abgesprochen werden. Die Schweizer Anbieter haben nicht vor, ein allfälliges Verbot kampflos zu akzeptieren. «Wir würden uns dagegen wehren», sagt Swisscom-Sprecher Sepp Huber. Replay-TV sei ein enormes Kundenbedürfnis. Von den fast 950'000 Abonnenten von Swisscom-TV würden 380'000 diese Funktion nutzen. Auch die Cablecom hat auf die Nachfrage reagiert und bietet seit drei Wochen neu diese Form des zeitversetzten Fernsehens an. Die Aktion wieder abblasen will man nicht. «Man muss mit der Zeit gehen und kann ein so grosses Kundenbedürfnis nicht ignorieren», sagt Mediensprecher Marc Maurer. Dass offenbar gerade die SRG das möchte, stösst Karim Zekri, CEO vom Internet-TV-Anbieter Teleboy, sauer auf: «Die SRG hat den Auftrag, ihre Inhalte möglichst vielen Personen zugänglich zu machen. Da ist es unverständlich, wenn sie sich gegen zeitgemässe Kanäle wehrt.»

Ob ein Verbot überhaupt Chancen hätte, ist unklar. In der Arbeitsgruppe Agur12 ist die SRG laut der «Schweiz am Sonntag» abgeblitzt. Man werde nun «die Optionen prüfen», wird Rechsteiner zitiert. Beyeler von Comparis ist überzeugt, dass die User sich ein Verbot nicht gefallen lassen würden und allenfalls ein Referendum zustande käme. «Wer diese Art des Fernsehens kennt, will nicht zurück.» Mit der SRG hat er kein Mitleid: «Die Kutschenbauer hätten sich auch gewünscht, dass man die Eisenbahn verbietet. Aber der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten.»

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